Auf das Volkszählungsurteil waren Verfassungsrechtler durchaus stolz. Damals vertraten die Bundesregierung und alle Landesregierungen mit Ausnahme von Hamburg den Standpunkt, die Volkszählung sei verfassungskonform. Das Bundesverfassungsgericht entschied sich gegen die Regierungen und für die Bürgerrechte.
Zum 25-jährigen Jubiläum dieses Urteils fand im Dezember 2008 sogar ein Festakt statt. Dort erklärte der in Kürze aus dem Amt scheidende Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier, dass das Volkszählungsurteil inzwischen eine kleine Schwester bekommen habe. Damit meinte er das Urteil, das die heimlichen Online-Durchsuchungen in Nordrhein-Westfalen verbot. Eine präventive polizeiliche Rasterfahndung ohne konkreten Verdacht oder das routinemäßige Scannen von KFZ-Kennzeichen sei mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr vereinbar, sagte er damals.
Als Folge des Urteils zur Online-Durchsuchung in Nordrhein-Westfalen entstand auf Bundesebene eine gegenüber den Planungen deutlich entschärfte Novelle des BKA-Gesetzes. § 20k Absatz 1 erlaubt eine heimliche Online-Durchsuchung nur dann, wenn Leib, Leben oder Freiheit einer Person bedroht sind, oder eine Gefahr für Güter vorliegt, „deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt“. Zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus reicht allerdings ein recht vager Verdacht auf die genannten Gefahren.
Mit dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung von letztem Mittwoch muss sich der erste Senat des höchsten deutschen Gerichts unter dem Vorsitz von Papier jedoch den Vorwurf gefallen lassen, nicht im Geiste des Volkszählungsurteils gehandelt zu haben, das er vor gut einem Jahr auf dem Festakt noch als wegweisend bezeichnet hatte.
- Vorratsdatenspeicherung: Freibrief für den Gesetzgeber
- Das Urteil ist ein Rückschritt beim Datenschutz von über 25 Jahren
- Erstellung von Persönlichkeits- und Bewegungsprofilen jeden Bürgers möglich
- Unberechtigte Nutzung der Vorratsdaten ist vorprogrammiert
- Mögliche Gründe für die Entscheidung der Verfassungsrichter
- Das Bundesverfassungsgericht darf sich der EU-Legislative nicht unterordnen
- Weiterer Überwachungsgesetzgebung ist Tür und Tor geöffnet
- Fazit
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3 Kommentare zu Vorratsdatenspeicherung: Freibrief für den Gesetzgeber
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Verfassungsgericht
Von welcher Verfassung ist eigentlich hier die Rede?
Wir haben doch gar keine Verfassung sondern nur ein Grundgesetz!
Staatliche Interessen über alles…..
Ich finde es unglaublich, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bei den Menschen heute keinen Wert mehr darstellt. Die Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes spiegelt daher nur die Meinung der Bürger wider, die sich kaum darum scheren, dass ihre Daten überall abrufbereit liegen, bei Amazon, bei Ebay, bei Yasni, Twitter und wie sie alle heißen. Damit wird jede erdenkliche Kleinstkriminalität abrufbar und kann meiner Karriere schaden. Kein Wunder, dass Frau Käßmann keinen Bock mehr auf das Amt hatte, weil ihr Fehltritt von den Medien bis ins letzte Detail durchgekocht wurde. Das will keiner. Aber dieser Druck wird in Zukunft nicht mehr „nur“ auf Personen bestehen, die in der Öffentlichkeit stehen, sondern jeder Bürger X oder Bürgerin Y wird ausgespäht. Praktisch, denn damit wird jeder epressbar, denn wer handelt schon 100% korrekt und legal während seiner ganzen Lebenszeit ? Gabs vielleicht mal eine sexuelle Seitensprung auch mal in eine bizarre Richtung ? Hat die Person mal irgendwas runtergeladen, was nicht legal war ? Ist Frau P. über Rot gefahren mit dem Fahrrad und hatte dabei auch noch einen meßbaren Alkoholpegel ? Das erinnert mich dem Grunde nach an die Ethik Akten bei Scientology, wo genau private Informationen und Vorlieben gespeichert werden, nach dem Motto: Vielleicht kann mans noch mal brauchen , oder ?
Unter dem Deckmantel des kampfes gegen den Terrorismus erlaubt man die Sammlung aller möglichen Daten. Spüren werden es erst die, die die fatalen Folgen am eigenen Leibe erleben. Glück Auf!
zu früh gefreut
Ich hatte bisher leider keine Zeit mich näher mit dem genauen Wortlaut des Urteils auseinander zu setzen, aber ich hatte es schon irgendwie im Urin, dass da noch was dickes kommen wird.
Was bedeutet das für mich?
Weiterhin aktiv bleiben im Kampf gegen den Überwachungsstaat.
So wird einem wenigstens nicht langweilig :-)