Der Vorsitzende der Internet Engineering Task Force (IETF) Russ Housley hat einer Behauptung von AT&T widersprochen, dass höhere Gebühren für bestimmte Arten von Datenverkehr in technischen Dokumenten der altehrwürdigen Internet-Standardisierungsorganisation vorgesehen seien. Damit beschuldigte er das Unternehmen indirekt der Lüge.
„AT&T behauptet in einem Brief [an die Federal Communications Commission (FCC], der amerikanischen Telekommunikationsbehörde), dass die IETF so etwas vorgesehen hätte“, erklärte Housley. „Das sehe ich aber anders.“
In dem von Housley erwähnten Brief an die FCC argumentiert das Unternehmen, dass die Provider eine Möglichkeit bekommen müssten, für die verschiedenen Internetdienste unterschiedliche Preise zu verlangen. AT&T nennt das „paid prioritization“, zu Deutsch „gebührenpflichtige Priorisierung“. Das Konzept „mehr Bandbreite gegen höhere Gebühren“ sei eine Form der Netzwerkverwaltung, die schon vor mehr als zehn Jahren „von der IETF durchgedacht“ worden sei.
„Wir haben nicht vorhergesehen, dass AT&T unseren Namen in die Diskussion bringen würde“, sagte der IETF-Chef und fügte hinzu: „Die Darstellung des IETF-Standards und der Gebrauch des Begriffs ‚gebührenpflichtige Priorisierung‘ durch AT&T sind irreführend.“
Dass die IETF in den späten Neunzigerjahren ihre Netzwerkstandards revidierte und den Netzwerkbetreibern 64 verschiedene Klassen von Datenverkehr – gemeint sind Priorisierungslevel – vorgab, ist unbestritten. Das Verfahren der „Differentiated Services“ wird heutzutage als „DiffServ“ bezeichnet. Dadurch bekommen Verbindungstypen mit hoher Priorität, zum Beispiel Videokonferenzen, den Vorzug vor Massen-Datenübertragungsprotokollen, die nicht so empfindlich gegenüber kurzen Verschlechterungen der Übertragungsgeschwindigkeit sind.
Die Vorgaben der IETF sind in speziellen, „Requests for Comments“ (RFC) genannten Dokumenten festgelegt. RFC 2638 befasst sich mit der gebührenpflichtigen Priorisierung: „Es ist zu erwarten, dass ein kleiner Prozentsatz der gesamten Netzwerkkapazität für Premium-Datenverkehr reserviert wird, der dann aber wesentlich teurer ist“, heißt es darin. Eine andere Spezifikation, RFC 2475 wurde ein halbes Jahr davor veröffentlicht. In ihr steht, dass die verschiedenen Prioritäten für Datenpakete „sich nach den unterschiedlichen Anforderungen der Anwendungen und nach den Erwartungen der Anwender richten“ und „eine differenzierte Preisgestaltung der Internetdienste erlauben“.
„Wenn zwei Video-Sites ihrem Material dieselbe Priorität geben, wird die Debatte langsam hässlich“, führt Housley aus. „Die RFC behandeln diesen Fall nicht … Wenn sie dieselbe Markierung verwenden, erwarten sie vom selben Provider auch dieselbe Dienstgüte.“ Diese Argumente haben in ähnlicher Form auch Bürgerrechtler wie Free Press der FCC vorgelegt. „DiffServ war nie dafür gedacht, ein Werkzeug zu sein, mit dem die Provider Diskriminierung auf der Anwendungsebene betreiben können“, sagte der Research-Director von Free Press, Derek Turner.
Ein AT&T-Sprecher erklärte gegenüber ZDNet: „Unser Brief befasst sich mit den jüngsten Eingaben von Free Press bei der FCC. Darin bestehen die Autoren darauf, dass Ausgleichszahlungen mit der IETF-Dokumentation zu DiffServ unvereinbar seien. Wir haben nur aus den IETF-Dokumenten zitiert, in denen etwas anderes steht.“
Offensichtlich ist auch nicht klar, ob Housley für die gesamte IETF spricht. George Ou, Policy-Director für Digital Society, einem „Think Tank“, schrieb in einer E-Mail an ZDNet, in der er die RFC analysiert: „In dem Kontext betrachtet, dass Housley AT&T effektiv als Lügner bezeichnet, sind seine Kommentare auf haarsträubende Weise irreführend.“
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