Kaj Arnö, Enterprise Vice President Products bei SkySQL (Bild: SkySQL).
Auch Kaj Arnö, früher bei MySQL und jetzt Enterprise Vice President Products beim Datenbankunternehmen SkySQL, sieht den Vorfall unaufgeregt: „So sehr ich die Verbreitung von Open Source auch auf dem Desktop begrüßen würde, so klar ist es mir aber auch, dass die Vorteile von Open Source auf dem Server beziehungsweise in einzelnen Desktop-Programmen wie Thunderbird und Firefox am größten sind.“ Eine Schwierigkeit sei der ungehemmte Einsatz von .doc und .xls anstatt offenerer Formate wie ODT/ODS/ODP oder zumindest PDF für den Datenaustausch.
„Die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes leiden sicherlich wie so viele andere unter einer Inbox, die mit unnötigen Attachments vollgestopft ist, wo einfach purer Text ausreichen würde.“ Obwohl er Open-Source-Programme natürlich gerne benutze, sei er nicht dogmatisch: Die Hauptsache sei es, bequem und einigermaßen offen arbeiten zu können, wie das etwa Google Docs erlaube. „Viel wäre schon gewonnen, wenn .doc-Anhänge bei einer breiten Masse der Anwender verpönt wären. So lange proprietäre Betriebssysteme durch öffentliche Nutzung von ebenso proprietären Datenformaten de facto subventioniert werden, kann man auch nicht voraussetzen, dass der Kompletteinsatz von Linux auf dem Desktop für alle erträglich ist.“
Mehr organsiatorische als technische Probleme
Peter Ganten, Geschäftsführer des Bremer Linux-Dienstleisters Univention, wirft in die Diskussion ein, dass die Einführung eines neuen Desktop-Systems immer mit spürbaren Veränderungen für die Anwender einhergeht – und zwar unabhängig davon, ob das neu eingeführte System Linux, Windows 7 oder iPad heißt. „In diesem Umfeld etwas zu tun, was gefühlt nicht alle anderen auch tun, kann die bei Veränderungen unabhängig von der Zielplattform ohnehin vorhandenen Akzeptanzprobleme verstärken.“
Erfolgreich durchgeführte Linux-Desktop-Projekte zeigten jedoch auch, dass solche Herausforderungen nicht zum Showstopper werden müssen, wenn man Change Management und Kommunikation engagiert, mit dem richtigen Mitteleinsatz und handwerklich korrekt durchführe: „Dann können solche Projekte sogar zu einer vergleichsweisen Stärkung von Mitarbeiterzufriedenheit und Produktivität führen. Es scheint so, als sei dieser Punkt im Auswärtigen Amt nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt worden.“
„Die Entscheidung des Auswärtigen Amtes stellt eine Ausnahme dar“, sagt Tom Cahill, Vice President EMEA bei Jaspersoft (Bild: Jaspersoft).
Für problematisch hält Ganten es zudem, dass das Auswärtige Amt die komplexen Anforderungen an das Management eines Linux-Desktops für so viele Standorte, Benutzer und Aufgaben im Wesentlichen mit eigenen Lösungen umsetzen wollte, anstatt auf erprobte Open-Source-Lösungen für genau diesen Zweck zu setzen. „Eine Folge davon war anscheinend, dass es vergleichsweise aufwändig war, die einmal ausgerollte Software auf einem aktuellen Stand zu halten, weswegen Mitarbeiter zum Teil mit veralteten Softwareversionen zu kämpfen hatten, wodurch Akzeptanzprobleme augenscheinlich weiter verstärkt worden sind.“
Bei beiden Punkten handelt es sich nach Ansicht von Ganten letztlich um vermeidbare Managementfehler. Die McKinsey-Studie mit ihrer Empfehlung, den Linux-Desktop beizubehalten und auf eine standardisierte Lösung zu setzen, sei aber wohl zu spät gekommen. „Wenn das nun das endgültige Ergebnis bleibt, muss man eine halbherzige Aktion konstatieren, die den Staat (zu) viel Geld gekostet hat.“ Die Verantwortung dafür sieht Ganten auf der politischen Ebene, die sich vor einem eindeutigen Bekenntnis zu dem Projekt gedrückt und es so den Akteuren nicht einfach gemacht habe.
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