„Die Probleme zeugten von einer ungenügenden Anforderungsanalyse im Vorfeld und unzureichendem Change Management“, sagt Ingo Mierswa, CEO von Rapid-I (Bild: Rapid-I).
Ingo Mierswa, CEO von Rapid-I, sieht die Rückkehr des Auswärtigen Amtes zu proprietärer Software ebenfalls nicht als herben Rückschlag für das Open-Source-Geschäftsmodell. Die Probleme zeugten eher von einer ungenügenden Anforderungsanalyse im Vorfeld und unzureichendem Change Management. Im Infrastrukturbereich, etwa bei Serverbetriebssystemen und Datenbanken, habe das Open-Source-Geschäftsmodell schon seit langem Fuß gefasst.
Auch das Auswärtige Amt bleibe für seine Server ja bei Open-Source-Lösungen. Ähnliches gelte auch für standardisierte Geschäftsanwendungen, beispielsweise im Bereich Business Analytics. „Bei einer Migration ist die TCO genauestens zu prüfen – bei proprietären Lösungen ist dies jedoch auch nicht anders. Für neue Projekte gilt nach wie vor die Empfehlung, dass Open-Source-Lösungen auf Grund der geringeren Gesamtkosten und des höheren Innovationsgrads den Default bei der Entscheidungsfindung darstellen sollten“, so Mierswa.
„Es sieht so aus, als ob sich das Auswärtige Amt auf die kostenlose Community-Version von Linux verlassen hat. Sollte dies der Fall sein, ist es keineswegs verwunderlich, dass man dort mit Problemen wie Softwareinkompatibilität oder Beschwerden der Mitarbeiter konfrontiert wurde“, ergänzt Tom Cahill, Vice President EMEA bei Jaspersoft.
„Community-Versionen einer Open Source Software zu nutzen bedeutet, dass in der Regel kein technischer Support gestellt wird, sollte man auf Schwierigkeiten stoßen. Dies führt unweigerlich zu Komplikationen, wenn man diese Software für geschäftskritische Anwendungen im Einsatz hat. Genau aus diesem Grund gibt es kommerzielle Open-Source-Angebote.“ Diese verbänden günstige Software mit Support durch die jeweiligen Open-Source-Anbieter und die entsprechende Entwicklergemeinde.
Diesen Punkt spricht auch Elmar Geese vom Linuxverband an. „Wenn in einer Behörde Open Source entwickelt wird, kommen die Verbesserungen auch anderen Behörden zugute. Das senkt die Kosten für alle. Viele kommerzielle Open-Source-Produkte können den Preis gegenüber Eigenentwicklungen drastisch senken. Open Source ist ein Entwicklungsmodell, es bedeutet nicht, irgendetwas selber zu machen. Dafür gibt es Dienstleister und Produkthersteller.“
Eine Signalwirkung will Cahill der Desktop-Infrsastruktur des Außenministeriums auch nicht zuerkennen: „Generell erfreuen sich Open-Source-Technologien bei Unternehmen großer Beliebtheit – viele Firmen migrieren von Windows zu Linux, aber nur wenige wechseln später wieder zurück. Somit stellt die Entscheidung des Auswärtigen Amtes eine Ausnahme dar.“ Er empfiehlt Unternehmen, die auf Open-Source-Technologien umsteigen möchten, im Vorfeld unbedingt sicherzustellen, dass sie den nötigen technischen Support bekommen, ausreichend Einfluss auf die Produkt-Roadmap besitzen und vor allem einen angemessenen Kostenvoranschlag erhalten, der den eigenen Anforderungen entspricht. Dies scheine im Fall des Auswärtigen Amtes nicht passiert zu sein.
„Moderne Lösungen sind heutzutage browserbasiert und damit desktopunabhängig. In diesem Punkt hat es das Auswärtige Amt also noch nicht ins 21. Jahrhundert geschafft“, sagt Tom Schuster, VP und General Manager bei SugarCRM (Bild: SugrCRM).
Tom Schuster, VP und General Manager bei SugarCRM hält die Meldung „Auswärtiges Amt wechselt von Linux zurück zu Windows“ gar für irreführend. Letztendlich stelle das Ministerium lediglich seine Desktop-Infrastruktur von Linux auf Windows um. „Moderne Lösungen sind heutzutage jedoch browserbasiert und damit desktopunabhängig, so dass man von überall und geräteübergreifend auf Applikationen zugreifen kann. In diesem Punkt hat es das Auswärtige Amt also noch nicht ins 21. Jahrhundert geschafft.“
Schuster hält es zudem ebenso wie Mierswa und Cahill für viel wichtiger, dass das Ministerium für die Virtualisierung seiner Serverinfrastruktur auf Open Source zurückgreift, denn quelloffene Lösungen seien dafür bestens geeignet: „Diese Entscheidung kann auf jeden Fall als Erfolgsmeldung für Open Source im öffentlichen Sektor gewertet werden.“
Kostenaspekte zu sehr im Vordergrund
Auf einen weiteren, in der Diskussion um Kosten und Akzeptanz wenig behandelten Punkt, weist Geese hin: „Auffällig ist, dass Sicherheitsargumente in der ganzen Auseinandersetzung eine Nebenrolle spielen – trotz verheerenden Erfahrungen eben im Auswärtigen Amt beim Trojanerbefall der proprietären Office-Software, die daraufhin Richtung China funkte. Die Verantwortung in einem einzelnen Anwender-Ministerium zu suchen greift jedoch zu kurz, und wäre unfair.“ Das sei Aufgabe des Bundes.
Michael Bark, Geschäftsführer des Hamburger IT-Dienstleisters Evodion (Bild: Evidion).
Michael Bark, Geschäftsführer des Hamburger IT-Dienstleisters Evodion, leitet aus der Antwort der Bundesregierung ebenfalls einige kritische Fragen ab. Es sei ein gängiger Irrglaube, dass mit dem Einsatz von OSS bei einer Projektlaufzeit von mehreren Jahren automatisch ein bedeutender Einspareffekt verbunden ist.
„Wenn es stimmt, dass auf den Büro-PCs ein Dualbootsystem läuft, kann man nicht gleichzeitig mangelnde Kosteneinsparungen beklagen, denn diese Systeme benötigen kostenpflichtige Windows-Lizenzen.“ Seiner Erfahrung nach dominieren nach den Anfangsinnvestitionen ohnehin Pflege, Weiterentwicklung, Schulung und Betrieb die Kostenstruktur.
Zudem habe der Einsatz von OSS nicht nur mit Kosten, sondern auch mit Strategie, Risiko und Unabhängigkeit zu tun. Diese Aspekte vermisst er in der Stellungnahme. Das wahre Problem sieht Bark ebenso wie andere Beobachter aber ohenhin ganz woanders: „Die Entscheidung pro OSS des Auswärtigen Amtes in den Jahren 2001 bis 2005 war ebenso auch ‚politisch‘ motiviert, wie die jetzt verkündete Rückkehr zu Windows. Objektive Kriterien und Fakten sind zweitrangig.“
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