Cloud Computing zwischen Wunschdenken und Realität

Laut Andreas Zilch, Vorstand der Experton Group, macht Cloud Computing derzeit ein Prozent des gesamten deutschen IT-Marktes aus. 2015 werden es seiner Schätzung nach neun Prozent sein. Für Zilch stellt die Cloud nämlich einen Paradigmenwechsel dar, der mit dem Umstieg auf die Client-Server-Architektur vor zwanzig Jahren vergleichbar ist: „2010 hat die Branche das Thema Cloud Computing hochgejubelt, jetzt sollten wir das Pendel nicht in die Gegenrichtung ausschlagen lassen und die Cloud kleinreden.“

Jan Wildeboer, Open Source Evangelist EMEA bei Red Hat bestreitet das nicht. Er gibt aber zu bedenken, dass auch ein Paradigmenwechsel nicht alles bisher Dagewesene umwirft: Beispielsweise sei der Mainframe aus einer Zeit vor dem letzten Paradigmenwechsel – aber heute immer noch im Markt. Außerdem sieht Wildeboer noch darüber erhebliche Unklarheit, was man eigentlich als Cloud anzusehen habe.

Allein bei einer kurzen Suche habe er 85 Definitionen von Cloud Computing gefunden und 42 Unternehmen, die sich als Cloud-Computing-Anbieter bezeichnen. „Zehn Prozent der Server-Ressourcen, die derzeit online sind, arbeiten für Google. Damit ist Google heute der größte Cloud-Anbieter.“

Offenheit und Standards

Positiv sieht Wildeboer, dass Cloud Computing seiner Einschätzung nach der erste große Markt ist, der von Anfang an mit offenen Standards entsteht. Beispielsweise baue das Open-Source-Projekt Eucalyptus auf Amazons APIs auf. 80 Prozent der Anbieter von Cloud-Diensten verwendeten Linux und andere Open-Source-Software.

Allerdings sei der Einsatz von Open Source im Backend bei den Cloud-Anbietern nicht mit Interoperabilität der angebotenen Dienste gleichzusetzen. Wildeboer sieht die Gefahr, dass große „Cloud-Silos“ geschaffen werden. Damit Cloud Computing erfolgreich werde, müssten Kunden Workloads jedoch einfach von einem Anbieter zum nächsten wechseln können. Dafür werde derzeit zwar an Standards gearbeitet, auf einen einzigen, umfassenden Cloud-Computing-Standard werde man freilich nicht hoffen dürfen.

Laut Zilch ist der aber gar nicht notwendig: „Wir wären schon weiter, wenn Unternehmen die vorhandenen Standards beachteten.“ Vielfach liefen jedoch noch veraltete Systeme. Seiner Erfahrung nach merken Unternehmen bei Cloud-Projekten jedoch immer wieder, dass ihre eigene Software nicht aktuellen Standards entspricht und damit auch nicht „Cloud-ready“ ist. Auf Firmen individuell einzugehen, können sich Cloud-Anbieter aber nicht leisten: Sie müssen nach dem aktuellen Stand der Technik standardisieren, ansonsten ist ihr Geschäftsmodell gefährdet.

Kleine Firmen als Vorreiter

Red-Hat-Experte Wildeboer setzt noch eins drauf: „IT ist komplex, bei großen Firmen sogar hochkomplex. Cloud bietet derzeit vor allem Teillösungen an. Aber die meisten IT-Systeme sind so verschachtelt, dass sich Teilbereiche nicht ohne weiteres herauslösen lassen. Daher lässt sich das Neue bei großen Firmen nicht ohne weiteres umsetzen und ist es kein Wunder, dass kleinere Organisationen bei der Adaption schneller sind.“

Birger Steen, CEO von Parallels, hat auf der soeben zu Ende gegangenen Hausmesse des Virtualisierungsspezialisten auf die Anforderungen hingeweisen, die diese Klientel seiner Ansicht nach hat: „Cloud Services erfreuen sich bei kleinen und mittleren Unternehmen immer größerer Beliebtheit, was zu grundlegenden Veränderungen in der Cloud-Branche führt. Diese Firmen suchen nach einem vertrauenswürdigen Komplettanbieter, der ihnen all die IT-Services bietet, die sie benötigen.“

Heutzutage gebe es jedoch nicht viele Unternehmen, die eine umfassende Produktpalette anbieten oder mit den stetig steigenden Erwartungen ihrer Kunden Schritt halten könnten. Grundsätzlich gut positioniert sieht er hier Service Provider. Sie müssten sich allerdings anpassen, um in der Branche wettbewerbsfähig zu bleiben.

Themenseiten: Cloud-Computing, Dell, Experton Group, IT-Business, Mittelstand, Red Hat, Strategien

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