Gestern Abend hat der Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e. V. (FoeBuD) in Bielefeld die „Oscars der Datenkraken“ verliehen. Der Negativ-Preis ging an Privatfirmen und an staatliche Organisationen.
Im Bereich Arbeitswelt qualifiziert sich der Deutschen Zoll und damit das Finanzministerium für den „Preis“. In seiner Laudatio begründet Jury-Mitglied Peter Wedde, Direktor der Europäischen Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt am Main und Professor für Arbeitsrecht und Recht der Informationsgesellschaft, mit dem von der Behörde initiierten Datenabgleich von Beschäftigten deutscher Unternehmen mit russischen Anti-Terrorlisten. Durch die dadurch mögliche SED-Zertifizierung (Sicherer Export-Diensteanbiete) kommen Firmen in den Genuss von Zoll-Erleichterungen. „Der Deutsche Zoll hat für sein Vorgehen bisher keine datenschutzkonforme Rechtsgrundlage. Nach Meinung eines Sprechers des zuständigen Bundesfinanzministeriums rechtfertigen aber höherrangige Rechtsinteressen die Einführung dieses Zertifizierungsverfahrens.“
In der Kategorie „Behörden und Verwaltung“ hat der Vorsitzenden der Zensuskommission Gert G. Wagner für die als „Zensus2011“ bezeichnete Vollerfassung der Bevölkerung Deutschlands den „Preis“ erhalten. Für die Volkszählung werden personenbezogene Daten aus den Einwohnermeldeämtern mit denen der Bundesagentur für Arbeit abgeglichen. Zudem werden circa 10 Prozent der Bevölkerung in der sogenannten „Haushaltsstichprobe“ durch Erhebungsbeauftragte aufgesucht.
Der Big Brother Award 2011 in der Kategorie „Technik“ geht an die Modemarke Peuterey, vertreten durch den deutschen Vertreiber, die Düsseldorfer Modeagentur „Torsten Müller“. Begründet wird die Verleihung damit, weil „die Agentur Kleidung der italienischen Modemarke Peuterey mit einem verdeckt integrierten RFID-Funkchip in Verkehr bringt, der berührungslos auslesbar ist, ohne dass die Kunden das bemerken können. Der Aufnäher, der diesen „Schnüffelchip“ enthält, wird – ohne Hinweis auf den verborgenen Chip – mit dem Satz „Don’t remove this label“ bedruckt. Damit greifen die Agentur und der Hersteller massiv in die informationelle Selbstbestimmung der Kundinnen und Kunden ein.“
In der Kategorie „Verbraucherschutz“ erhält der Verlag für Wissen und Innovation, Inhaber: Herr Horst Müller, Starnberg, für das Abschöpfen von Adressdaten von Schülern und Eltern als Gegenleistung für Büchergutscheine den diesjährigen „Oscar der Datenkraken“. In seiner Laudatio verweist Jury-Mitglied Sönke Hilbrans darauf, „dass der spendable Verlag selbst gar keine eigenen Bücher vertreibt, dafür kooperiert er aber mit Anlageberatern und einem Hersteller von Vitaminpillen. Und da sind sie auch gleich wieder, die drei Sorgenkinder junger Eltern: schulische Lernleistung, Gesundheit und die – finanzielle – Zukunft. Dahinter steht, frei nach Amazon, der Gedanke: „Menschen, die Schulbücher kaufen, kaufen auch Versicherungspolicen und Gesundheitsartikel“.
Der Big Brother Award 2011 in der Kategorie „Arbeitswelt“ geht an die Daimler AG in Stuttgart und stellvertretend an alle Unternehmen, die von Bewerberinnen und Bewerbern bei Einstellungsuntersuchungen Blutproben verlangen. „Nach einer Untersuchung der Online-Ausgabe der Zeitung „Die Welt“ fanden zu Beginn des Jahres 2010 flächendeckende Bluttests beispielsweise auch bei der BASF, bei der DEUTSCHEN BÖRSE, bei K+S, bei Linde, bei der Salzgitter Stahl, bei ThyssenKrupp und bei zahlreichen Landesrundfunkanstalten der ARD statt.“, sagte Laudator Peter Wedde.
Facebook konnte gleich zweimal abräumen. Wegen seiner unvergleichlichlichen Datensammelleidenschaft erhält das Soziale Netzwerk von der Jury den Preis im Bereich „Kommunikation“. Zudem darf sich das Unternehmen von Mark Zuckerberg („They trust me – dumb fucks.“) mit über einem Drittel aller Stimmen über den Publikumspreis „freuen“.
In der Rubrik „Kommunikation 2“ gewinnt Apple den „Oscar der Datenkraken“. Die Laudatoren Frank Rosengart und Andreas Bogk vom Chaos Computer Club begründen die Entscheidung mit der Datensammelleidenschaft bei iPhone-Nutzern. „Dort erlaubt sich das Unternehmen, die Daten des Kunden mit „[mit Apple] verbundenen Unternehmen […] aus[zu]tauschen und sie nach Maßgabe dieser Datenschutzrichtlinie [zu] nutzen“. Dabei geht es nicht nur um eine Kreditkartennummer, um eventuelle Kaufvorgänge von Musik abzuwickeln, sondern um „[…] Daten wie namentlich Beruf, Sprache, Postleitzahl, Vorwahl, individuelle Geräteidentifizierungsmerkmale sowie Ort und Zeitzone, wo Apple Produkte verwendet werden“. Apple möchte damit „das Verhalten [seiner] Kunden besser verstehen und [seine] Produkte, Dienste und Werbung verbessern“. Die Erhebung und Weiterverarbeitung personenbezogener Daten stehe im Widerspruch zu zahlreichen Gesetzen. Die Datensammelleidenschaft lässt sich mit einem Jailbreak und der Installation einiger Tools allerdings eingrenzen.
Der Big Brother Award 2011 in der Kategorie „Politik“ geht an den Niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann (CDU). Er gewinnt den Preis „für den ersten nachgewiesenen polizeilichen Einsatz einer Mini-Überwachungsdrohne zur heimlichen Ausspähung der Demonstrationen und Protestaktionen gegen den Castortransport im Wendland. Betroffen waren unzählige Demonstrationsteilnehmer, die im November 2010 zu Abertausenden gegen den radioaktiven Atommüll und die unverantwortliche Atompolitik der Bundesregierung protestierten.“, sagte der Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte Rolf Gössner in seiner Laudatio.
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