Es ist höchst wahrscheinlich, dass Teile von Google+ dezentral vorgehalten werden und das Angebot seine Tentakel so über das ganze Web ausbreitet. Facebook und Twitter haben hier schon vorgefühlt, indem sie „Share“- und „Like“-Buttons auf externen Sites platzierten sowie Client Apps für unterschiedliche Plattformen zur Verfügung stellten. Facebook hat sogar einigen Sites erlaubt, die Facebook-Platform für die Verwaltung von anwendergenerierten Inhalten und Kommentaren zu verwenden. Letztendlich ist jedoch das Ziel von Facebook und Twitter immer, die Surfer auf ihre Seiten zu holen, um ihre Anwesenheit und ihre Aktivitäten in klingende Münze umzuwandeln.
Google kann andere Ziele verfolgen. Es braucht nämlich all die Daten darüber, was Leute mögen, wie sie zueinander in Beziehung stehen, welche Inhalte sie am häufigsten teilen und in welchem Zusammenhang sie dies tun, um seine Suche zu verbessern und die ständig wachsende Informationsmenge besser zu erschließen. Google hat es daher nicht nötig, die Anwender immer wieder auf die Site plus.google.com zurückzulosten. Es geht vielmehr darum, die Suche zu verbessern und zu verhindern, dass Facebook die einzige ernsthafte Quelle für die so wichtigen sozialen Daten wird.
Daher hat Google auch gleich nach dem Start Apple eine
App für iOS-Geräte zur Genehmigung vorgelegt. Außerdem kündigte der Konzern für Hangouts, die Video-Chat-Funktion bei Google+, bereits an, diese auch für andere Videodienste und Clients zu öffnen. Darum setzt Google auch kleine +1-Zeichen überall im Web und in seine Suchergebnisse (auch wenn diese bis jetzt noch nicht sehr gut mit Google+ integriert sind). Um seinen Appetit auf soziale Daten zu stillen, muss Google mit Google+ nahezu auf allen Plattformen präsent sein – sowohl, was den Zugriff auf den Dienst von unterschiedlichen Geräten als auch die Anbindung des Dienstes an Apps, Sites und Dienste Dritter anbelangt.
Man denke zum Beispiel an die Einbindung von +1 in Apps, um mobil Inhalte abzurufen, in Q&A-Sites, Blog-Kommentare, Produkttests- und Besprechungen, Musikdienste wie Pandora und andere. Vorstellbar ist zum Beispiel auch, dass bei der Bewertung eines Produkttests mit einem +1 sofort angezeigt wird, was alle Mitglieder des eigenen Circles „Technikspezialisten“ zu dem Produkt bereits gesagt haben – ohne dafür die Site verlassen zu müssen. Social Networking im Web würde dadurch wesentlich enger in andere Aktivitäten eingebettet. Hat Google+ damit Erfolg, würde es Facebook, Twitter und andere wahrscheinlich zwingen, eine ähnliche Richtung einzuschlagen.
Entscheidend in diesem Szenario wäre, inwieweit sich Google auf die angekündigte und versprochene Offenheit tatsächlich einlässt. Kann der Konzern der Versuchung widerstehen, Google+ bevorzugt für die eigenen Plattformen Android, den Chrome-Browser, Chrome OS, Google Mail und andere zu entwicklen? Baut er auch für andere Plattformen gute Apps? Wird es etwa einen Client für Windows Phone 7 geben, obwohl Microsoft Googles größter Rivale im Suchmarkt ist? Wird Google mit Apple daran arbeiten FaceTime (für das ebenfalls offene Standards versprochen sind) kompatibel zu Google+ Hangouts zu machen? An solchen Fragen wird sich entscheiden, wie erfolgreich Google+ letztendlich sein kann.
Dass Facebook Google+ ernst nimmt, zeigt sich nicht nur daran, dass der Chef die neue Plattform höchstpersönlich eifrig nutzt. Auch die Vorbemerkungen bei der Ankündigung der Partnerschaft mit Skype sind ein aufschlussreiches Indiz dafür. Zuckerberg betonte dabei mehrmals, dass es bei Social Networking darum gehe, eine Plattform zu bieten und eine qualitativ hochwertige Nutzererfahrung zu vermitteln. Unausgesprochen gemeint war damit aber, dass die Zeiten, in denen man Mitglieder rekrutiert, längst vorbei sind – und daher Google+ auch keine Chance mehr hat.
Facebook als Social-App-Plattform
In den nächsten fünf Jahren gehe es darum, Soziale Netzwerke mit Zusatzfunktionen anzureichern, mit Musik, Spielen, Suche und Kommunikation. Als Belege führte Zuckerberg den Spieleentwickler Zynga und die Kooperation mit Skype an. Und indem er Suche zur Teilkategorie der wünschenswerten Funktionen degradierte, sprach er Google auch gleich die Daseinsberechtigung überhaupt ab.
Ebenfalls ein feiner Schachzug – zumindest für die auf einen Börsengang schielenden Analysten – war Zuckerbergs unterschwellige Botschaft, dass es bei mehr als 750 Millionen Nutzern nicht auf ein paar Millionen hin oder her ankommt. Denn zumindest in den reifen Märkten schwächt sich die Facebook-Euphorie schon wieder ab, die Zunahme der Nutzerzahlen verlangsamt sich. Aber, so Zuckerberg zwischen den Zeilen, während es den Konkurrenten eventuell gelingen mag, den einen oder anderen Nutzer zu sich herüberzuziehen, arbeite Facebook schon an der Zukunft des Social Networking – daran, eine Social-App-Plattform zu bauen.
Für Facebook ist das sicher eine Option. Die dargestellte Sichtweise hinkt aber etwas. Schließlich fängt Google nicht bei Null an: Der Konzern hat einige Millionen Nutzer mehr als Facebook – zumindest für seine Suche. Sobald Google+ für die Öffentlichkeit freigeschaltet ist, werden viele bisherige Google-Nutzer aufspringen. Nicht zu unterschätzen ist der Sog, der von Google Mail ausgehen dürfte. 222 Millionen Unique Visitors besuchen den Dienst täglich. In ihrem Account erhalten sie eine kleine Box mit Benachrichtigungen von Google+ eingeblendet – eine tägliche Versuchung.
Außerdem sind Google Photo und andere Dienste gut mit Google+ verknüpft. 38 Prozent der Smartphone-Besitzer in den USA – rund 28,9 Millionen Menschen – nutzen Android, das ebenfalls gut mit Google+ integriert ist. Dazu kommen die zahlreichen Nutzer der vor der Umbenennung stehenden Angebote Picasa und Blogger. Damit erreicht der Suchgigant zwar nicht über Nacht 750 Millionen Nutzer. 150 Millionen in sehr kurzer Zeit sind aber realistisch. Die wichtigere Frage ist, ob Google die Nutzer dann auch halten kann und ob diese Google+ als Zusatz oder als Ersatz für Facebook sehen.
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