Ein neues Konzept für die Speicherung privater Daten sind Serverschränke aus massiver Eiche. Allerdings ist es kein reales Unternehmen, das diese handfeste Sicherheitsmaßnahme vorschlägt, sondern das Münchner Theaterprojekt „Public Republic„. Es stellt ein gleichnamiges Start-up vor, das die Internet-Nutzer repräsentieren möchte. Ihre Leben sind es schließlich, mit denen Facebook und Google Milliarden machen. Die neu gegründete Firma will sie als eigentliche Besitzer der Daten an den Verkaufserlösen beteiligen.
Sie – das heißt uns, die Zuschauer. Wir sind keine anonyme Menge wie sonst im Theater. Eine Anmeldung mit Klarnamen ist vor dem Eintritt ins Parkett Pflicht. Auf jedem Sitz liegt ein Namensschild. Wer einen einseitigen Fragebogen – etwa Einkommen und Familienstand – ausfüllt, bekommt die Karte fünf Euro billiger. Und ja, natürlich ist Schwindeln möglich. Da funktioniert das Theater nicht anders als ein Soziales Netzwerk.
Das Firmenkonzept führt uns Autorin und Regisseurin Antje Schupp persönlich vor. Aber so persönlich auch wieder nicht: Die Schauspielerin Susanne Schroeder hat Namen und Rolle übernommen. Ins Spiel mit vertauschten Identitäten wird auch der Zuschauer einbezogen. Ein „Public Republic“-Mitarbeiter erhält Datenblätter, die seine Kollegen im Internet zusammengeklaubt haben, und verkörpert mit ihrer Hilfe einige Zuschauer – etwa einen Autor und den Theaterkritiker des Bayerischen Rundfunks, die beide im Premierenpublikum sitzen. Und spätestens hier greift das Konzept: Jeder im Zuschauerraum fragt sich einmal mehr, was über ihn wohl im Netz steht. Er fürchtet, selbst vorgeführt zu werden. Und hofft es vielleicht auch ein wenig.
Das erfundene Unternehmen „Public Republic“ verspricht absolute Datensicherheit in seinen Serverschränken – und hervorragende Dividenden. Die erste zahlt es gleich aus: Antje Schupp drückt jedem Zuschauer einen Centbetrag in die Hand. Ihre Präsentation sprudelt inzwischen in präzise abgelauschter PR-Rhetorik weiter. Und zwischendrin scheinen immer wieder ihre echten Motive durch – vor allem Geldgier. Wer ähnliche, aber ernst gemeinte Firmenpräsentationen kennt, hat viel zu lachen.
Auch die Politik tritt auf, in Person eines Staatssekretärs, der die Bundesministerin für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz Ilse Aigner vertritt. Auch die Politik wird vorgeführt: Der Staatssekretär liefert Worthülsen, versucht den Anschein zu vermitteln, man kenne das Problem und kümmere sich – und stolpert über einfache Begriffe wie Privatsphäre.
Und schließlich präsentiert Schupp – jetzt im Stil einer Fernsehmoderatorin – einen Experten, also einen Vertreter jener Gruppe, zu der auch ZDNet-Redakteure gehören. Es ist der Blogger Deef Pirmasens, der auf der Bühne referiert, was Datensätze denn nun in der Schattenwirtschaft wirklich wert sind, und Fragen aus dem Publikum beantwortet. Er wird als etwas eitel charakterisiert, aber anders als Politik und Marketing zeigt er keine dunkle, egoistische Seite. Schließlich hat er tatsächlich – im Rahmen des Theaterprojekts „Public Republic“ – die Aufgabe, Wissenslücken im Publikum zu füllen, die komplexe Materie aufzuhellen. Er tut es weitgehend ohne Gegenstimme, lehrerhaft. Und ein Detail irritiert: Er spricht von Cloud-Computing konsequent als „iCloud“, verwendet also den Namen von Apples noch nicht gestartetem Angebot statt des üblichen Terminus. Er fürchtet beispielsweise „Steuererklärungen in der iCloud“.
Die Inszenierung wirkt nicht durch trockenes Referat, sondern indem sie Datenschutz und Datendiebstahl in Bildern vorführt. Die Bühne ist als Wohnzimmer gestaltet; im Hintergrund die Server-Schrankwände aus „deutscher Eiche“; noch die Zuschauer in der ersten Reihe sitzen auf Sofas. Dieser Raum als Vertreter des Privaten ist von Anfang an in Gefahr. Die Putzfrau durchstöbert ihn, schaut in alle Fächer und Schubladen. Auch enthält eines der Fächer Spam (ja, genau, das amerikanische Pressfleisch in Büchsen), und in einem anderen sammeln sich Fachbücher über Internetkriminalität.
In der zweiten Schrankwand aber sitzen die schweigenden Mitarbeiter von Public Republic mit ihren Macbooks und sammeln Daten. Immer wieder fällt eine eben gedruckte Akte heraus. Es könnte die eines weiteren Zuschauers sein. Und immer wieder blicken diese Internet-Wühlmäuse aus ihren Schränken heraus eindringlich ins Publikum, um klar zu machen: Uns entgeht keiner. Am Ende sind Geld und Daten natürlich weg. Sogar die Eichentüren der Serverschränke werden abmontiert.
Mit solchen Mitteln gelingt es dem Theater vielleicht besser, Datenschutzgefahren anschaulich zu machen, als es an einem Bildschirm möglich wäre. Und plötzlich eröffnen sich Parallelen: Spielen wir online nicht auch manchmal Theater und geben uns als jemand aus, der wir nicht sind? Oder versuchen, in einem Sozialen Netzwerk ein bestimmtes Bild von uns zu vermitteln? Hat sich mit dem Internet die vierte Wand unserer Wohnzimmer geöffnet – und jeder kann uns zusehen, ganz wie auf einer Theaterbühne?
Die nächsten Aufführungen von „Public Republic“ sind am Freitag, 22., und Samstag, 23. Juli, jeweils ab 20.30 in den Pathos Ateliers, Dachauer Str. 112d, München.
Szenenfoto mit Susanne Schroeder, Judith Huber und Andreas Hacker (Bild: publicrepublic.de).
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