Thorsten Heins: Neuer RIM-CEO serviert alten Wein in alten Schläuchen

2011 war ein schwarzes Jahr für Research in Motion: Im Dezember war die Aktie 76 Prozent weniger wert als zwölf Monate zuvor. Schuld ist nicht nur die starke Konkurrenz durch Apple, sondern ein ganzes Bündel aus widrigen Umständen und verfehlten Entscheidungen.

Auf der Produktseite verkaufte sich das Tablet Playbook nicht wie erhofft und geplant. Außerdem nahm im Business-Umfeld die Konkurrenz durch Android zu. Unerwünschte Schlagzeilen hatte der Hersteller auch aufgrund massiver, weltweiter Ausfälle im Herbst. Es waren dies zwar bei weitem nicht die ersten technischen Störungen, aber wohl die langanhaltendsten und aufsehenerregendsten. Grund dafür war einerseits das 2011 deutlich gestiegene Interesse der breiten Öffentlichkeit am Smartphone-Markt, andererseits aber auch die Häme der Konkurrenz. Sie hat die Schwäche des lange Zeit als Nonplusultra der mobilen Mail-Kommunikation geltenden Blackberry-Dienstes genüsslich und weidlich breitgetreten.

Aber auch bei den von RIM nicht zu beeinflussenden und zu verantwotenden Rahmenbedingungen gab es Probleme, etwa mit Regierungen. Dies traf den kanadischen Hersteller nicht nur wie schon 2010 in arabischen Ländern, sondern auch in Indien sowie dem für RIM sehr wichtigen Markt Indonesien. Außerdem geriet der Hersteller in Großbritannien, einem der Länder, in denen es auch bei Jugendlichen als schick gilt, einen Blackberry zu besitzen, im Zuge der Krawalle in London in ein schlechtes Licht.


2011 den Kontakt zu den Nutzern verloren: Jim Balsillie (Bild: Tom Krazit/CNET News).

Dass der Gewinn im dritten Quartal 2011, das am 26. November endete, sogar noch unter den bescheidenen Erwartungen der Analysten lag, überraschte da kaum noch. Viel eher wunderte sich so mancher, dass die beiden CEOs Jim Balsillie und Mike Lazaridis im Zuge der Vorstellung der Katastrophenzahlen nicht gleich den Hut genommen haben. Schließlich hatten mehrere Investoren schon länger Veränderungen an der Unternehmensspitze gefordert.

Die Antwort darauf ist möglicherweise, dass sie eben nicht nur Co-CEOs waren, sondern auch der zweit- beziehungsweise drittgrößter Anteilseigner des Unternehmens sind. Jetzt ist der Druck aber offenbar zu groß geworden: Balsillie und Lazaridis ziehen sich weitgehend aus der Unternehmensspitze zurück. Einer Pressemeldung zufolge geben sie ihre Posten als Chief Executive Officers und auch als Vorstandsvorsitzende („Chairmen“) auf.

Der neue CEO Thorsten Heins

Neuer – und alleiniger – CEO des Unternehmens ist mit sofortiger Wirkung der ehemalige Siemens-Manager Thorsten Heins, der auch einen Sitz im Vorstand erhält. Der Deutsche ist seit 2007 bei RIM, wo er zunächst er als Senior Vice President für Hardware Engineering verantwortlich war, bevor er im August 2011 zum Chief Operating Officer für Produkte und Verkauf aufstieg.

Wird bei RIM dadurch alles anders und vor allem besser? Wohl kaum. Wenigstens geben die ersten Aussagen von Heins keinen Anlass dazu, das anzunehmen. Heins sagte beispielsweise: „Mike und Jim haben vor 18 Monaten einen mutigen Schritt getan, als RIM QNX übernomemn hat, um die Transformation der Blackberry-Plattform für das nächste Jahrzehnt vorzubereiten. Wir sind zuversichtlicher als je zuvor, dass damit der richtige Weg eingeschlagen wurde. Mikes und Jims fortgesetzte Weigerung, langfristigen Wertzuwachs auf dem Altar kurzfristiger Gewinnmitnahmen zu opfern, hat RIM zu der großartigen Firma gemacht, die sie heutzutage ist. Ich teile ihre Ansichten und blicke begeistert in die Zukunft der Firma.“


Mit dem Playbook viel aufs Spiel gesetzt: Mike Lazaridis (Bild: James Martin/CNET).

Woher Heins diese Zuversicht nicht und was ihn an den Aussichten so begeistert, blieb unklar. Fragezeichen poppten in den Gedanken mancher Beobachter auch auf, als Heins auf den erfolgreichen Auftritt des Herstellers auf der soeben zu Ende gegangenen CES zu sprechen kam: „BlackBerry 7 wurde gut aufgenommen. Wir sind begeistert vom PlayBook 2.0 und dem BlackBerry 10. Die Reaktionen auf unsere Produkte auf der diesjährigen Consumer Electronics Show waren sehr ermutigend.“

Das Problem: Glaubt man Besuchern der Messe, war der Trubel um den RIM-Stand wesentlich gedämpfter, als es die Aussagen von Heins vermuten lassen. Manche sind gar nicht zum Stand hingegangen, weil RIM nichts Aufregendes zu zeigen hatte. Ja, es gab das neue PlayBook OS, aber das wartete eigentlich nur mit all dem auf, was sein Vorgänger bereits hätte bieten sollen: Features wie E-Mail, Kalender und Kontakte-App darf man bei eeinem RIM-Produkt eigentlich als Grundausstattung erwarten.

Unbegründeter Optimismus

In einem Video (siehe unten), stellt Heins RIM als innovative Firma mit großartigen Zukunfstaussichten dar. RIM stünde erst am Anfang seiner Reise und werde Produkte künftig schneller und effektiver entwickeln. Das Ziel: Einer der drei Top-Anbieter im Mobilfunkmarkt zu sein. Erreicht will er das, indem er RIM effizienter macht, für das Unternehmen bessere Prozesse aufsetzt, kontinuierlich Prototypen vorstellt und Produkte entwickelt, besser mit den Anteilseignern kommunizieren und wichtige Designer an Bord holt, um sich auf den Trend der Consumerisierung zu konzentrieren. Unterm Strich klingt das fast wie das Programm, dass Stephen Elop bei seinem Amtsantritt Nokia verpasst hat – aber das ist fast genau auf den Tag 16 Monate her, Monate, die Nokia so wie es derzeit aussieht, gut genutzt hat.

Der Rücktritt von Balsillie und Lazaridis scheint nicht viel mehr als ein Schritt zu sein, um die aufgebrachten anderen Investoren zu besänftigen. Ein strategischer Wechsel ist den Aussagen von Heins nicht zu entnehmen. Interessant ist auch, wie und ob Balsillie und Lazaridis, die ja immer noch im Vorstand sitzen, auch weiterhin ihre bisherige Strategie verfolgen und wie unabhängig Heins in seinen Entscheidungen tatsächlich sein wird. Ist der deutsche Manager nur ein Handlanger seiner Vorgänger – so wie es jetzt aussieht – oder kann er eigenständig tiefgreifende Veränderungen anstoßen und umsetzen?

Nötig wäre es. Auch mit dem PlayBook 2.0 erfüllt RIM im Tablet-Markt die Ansprüche nicht. Es hinkt weit hinter Apple, aber auch deutlich hinter Samsung hinterher. Das Produkt ist weder Fleisch (Business-Tablet) noch Fisch (Consumer-Gerät). Es ist nur der massenhaft produzierte Versuch, in einem als hip empfundenen Marktsegment dabei zu sein. Und wie grandios so etwas in die Hose gehen kann, hat Hewlett-Packard mit TouchPad und WebOS im vergangenen Jahr gezeigt. Dazu kommt, dass beim aktuellen Preis (299 Dollar) und dem winzigen Ökosystem an App-Entwicklern drumherum mit dem Produkt kaum etwas zu verdienen ist. Am selben Problem krankt auch Heins Bekenntnis zu QNX beziehungsweise BlackBerry 10.

Heins hätte gut daran getan, sich auf die wahren Stärken von RIM zu besinnen, darzustellen, wie man neue Kunden im Umfeld der Großkonzerne gewinnen und wie man die vorhandenen behalten will. Das wäre gerade in einer Zeit wichtig gewesen, in der sich die einst auf Blackberrys versessenen Mitarbeiter und Manager nach iOS- und Android-Geräten verzehren. Dafür wäre es hilfreich gewesen, eine Strategie mit Software und Dienstleistungen vorzustellen sowie aufzuzeigen, wie man die Erwartungen der Firmen an Sicherheit und Managebarkeit der schönen neuen Mobilwelt erfüllen will – etwas, was sich Apple und Samsung beharrliche weigern zu tun. Stattdessen hat Heins dieselben verstaubten Produkte aus dem Ärmel geholt, die seine Vorgänger schon vergeblich in die Kameras gehalten haben. So wird das nichts mit der Rettung von RIM.

ZDNet.de Redaktion

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