Spekuliert und gemutmaßt wurde darüber schon seit Monaten, jetzt ist es offiziell: Facebook geht – wahrscheinlich im Mai – an die Börse. Ob an NYSE oder Nasdaq, hat man noch nicht entschieden, klar ist dagegen, dass man mit dem IPO fünf Milliarden Dollar einnehmen will. Beteiligt sind neben Morgan Stanley auch J.P. Morgan, Goldman Sachs, Bank of America Merrill Lynch, Barclays Capital sowie Allen & Company. Alle sechs werden sich daran eine goldene Nase verdienen und haben deshalb schon seit Monaten um Zuckerberg und die anderen Facebook-Chefs herumscharwenzelt wie der Hund um den Bratwurststand.
Ähnliches erhoffen sich auch zahllose andere Investoren und Anleger. Es ist damit quasi sicher, dass die Aktie mehrfach überzeichnet sein und einen fulminanten Börsenstart hinlegen wird. Aber was kommt dann? Meiner Meinung nach nicht viel. Die Erwartungen sind so hoch gesteckt, dass auf die anfängliche Euphorie nur Enttäuschung folgen kann. Denn was viele nicht bedenken: Allein mit astronomischen Nutzerzahlen lässt sich noch kein Geld verdienen, und den Kniff, wie man Geld verdienen kann, hat Facebook noch nicht richtig raus.
Es lohnt sich, einmal einen Blick auf die Bewertung des Sozialen Netzwerks durch die Analysten in der Vergangenheit zu werfen. Im Mai 2011 wurde einmal die Zahl 100 Milliarden Dollar in den Raum geworfen. Sie wurde – wahrscheinlich weil sie so schön griffig ist – seitdem immer wieder wiederholt. Allerdings war Facebook als nicht börsennotiertes Unternehmen mit weniger als 500 Anteilseignern in den USA nicht dazu verpflichtet, seine Bilanzen zu veröffentlichen. Es sickerten zwar unter „Berufung auf mit Facebooks Finanzdaten vertraute Quellen“ immer wieder Zahlen durch, aber dabei kann es sich auch um geschickte und gezielte Propaganda handeln – vergleichbar mit den Myriaden „verloren gegangener“ iGeräte in schummrigen kalifornischen Bars oder chinesischen Straßenbahnen.
Im Zuge des IPO-Antrags liegen erstmals offizielle Zahlen vor. Demnach hat sich im vergangenen Jahr der Umsatz auf 3,7 Milliarden Dollar verdoppelt. Der Gewinn legte um 65 Prozent auf 1 Milliarde Dollar zu. Es lohnt sich dennoch, einmal ältere Einschätzungen anzuschauen. Sie sind ebenso gut oder schlecht fundiert wie die magische Zahl von 100 Milliarden und geben interessante Aufschlüsse darüber, wer eigentlich außer Mark Zuckerberg noch ein Interesse daran hat, dass der IPO ein Erfolg wird.
Im Juni 2004 lieh PayPal-Mitgründer Peter Thiel Facebook 500.000 Dollar. Das Darlehen wurde später in einen Anteil von 10 Prozent am Unternehmen umgewandelt (ergibt einen Gesamtwert von 5 Millionen Dollar), der später auf eine Beteiligung von 3 Prozent reduziert wurde (ergibt einen Gesamtwert von rund 16,7 Millionen).
Im April 2005 investierte Accel Partners in Facebook 12,7 Millionen Dollar und erhielt dafür einen Anteil von a 15 Prozent (Gesamtwert damit 84,7 Millionen Dollar). Ein Jahr später gab die Venture-Capital-Firma Greylock Partners Facebook 27,5 Millionen Dollar, wofür sie aber nur noch einen Anteil von 1,5 Prozent erhielt. Rechnerischer Gesamtwert damals: 1,83 Milliarden Dollar.
Bis Herbst 2007 hatte sich dieser Wert schon verzehnfacht. Damals erwarb Microsoft für 240 Millionen Dollar einen Anteil von 1,6 Prozent und der chinesische Magnat Chinese Li Ka-Shing für 60 Millionen Dollar einen Anteil von 0,8 Prozent. 2008 und 2009 waren eine ruhige Zeit, lediglich die russische Digital Sky Technologies kaufte sich mit 200 Millionen Dollar einen Anteil von zwei Prozent an dem Sozialen Netzwerk.
Mark Zuckerberg auf der F8-Konferenz im Frühjahr 2008 in San Francisco (Bild: James Martin/CNET).
Aber das war nur die Ruhe vor dem Sturm. Er begann 2010. Als das Venture-Capital-Unternehmen Elevation Partners im Juni 1,5 Prozent an Facebook erwarb, bezahlte es dafür 120 Millionen Dollar, die Gesamtbewertung lag bereits bei 23 Milliarden. Sie erhöhte sich bis Ende des Jahres um mehr als das Doppelte: Im Dezember erhielt Facebook eine Finanzspritze von 1,5 Milliarden Dollar. Sie kam zum Teil (500 Millionen Dollar) von einer Allianz aus dem Investor Digital Sky Technologies, Goldman Sachs und von Goldman Sachs verwalteten Fonds. Diese erhielten dafür ein Prozent der Firmenanteile. Und Kunden von Goldman Sachs außerhalb der USA hatten eine Milliarde Dollar in Stimmrechtsaktien investiert.
2011 ging die Facebook-Manie richtig los: Im Februar erwarb Kleiner Perkins Caufield & Byers für 38 Millionen weniger als ein Prozent von Facebook, damals bewertet man die Zuckerberg-Firma mit 52 Milliarden. Der Wert hatte sich bis März auf 65 Milliarden erhöht – damals kaufte die Investmentfirma General Atlantic von ehemaligen Facebook-Angestellten 2,5 Millionen Aktien und stieg damit mit etwas weniger als 0,1 Prozent ein. Das Investmentunternehmen T. Rowe Price erhielt für 190,5 Millionen Dollar ungefähr ein Zehnfaches davon.
Bei kleineren Deals im Juni und August gingen Analysten aufgrund der Transaktionsvolumen von einem Facebook-Marktwert zwischen 65,5 und 70 Milliarden Euro aus. Seit einiger Zeit verkaufen Angestellte und frühe Anteilseigner Anteile privat auf SecondMarket.com und SharesPost.com. Aus diesen Transaktionen lässt sich eine Marktkapitalisierung von 80 Milliarden ableiten. Aber – und das ist angesichts der allgemeinen Euphorie doch bemerkenswert – sind im Oktober Anbieter bei SecondMarket auch erstmals auf ihren Facebook-Anteilen sitzen geblieben. Nach all den Verkäufen besitzt Gründer und CEO Mark Zuckerberg derzeit noch rund 28 Prozent des Unternehmens. Er ist damit der größte Anteilseigner.
Soweit die Sicht der Investoren und Spekulanten. Wie sieht es aber bei Facebook auf der Haben-Seite aus? Wie gesagt ist das Unternehmen nicht verpflichtet, seine Bilanzen zu veröffentlichen. Man stochert also im Nebel. Einem Bericht von Reuters zufolge hat das Unternehmen im ersten Halbjahr 2011 seinen Umsatz auf 1,6 Milliarden Dollar verdoppelt. Der Gewinn habe in diesem Zeitraum bei fast 500 Millionen Dollar gelegen, heißt es.
Anfang 2010 hatte der Blog Inside Facebook berichtet, das Soziale Netzwerk werde 2010 mehr als eine Milliarde Dollar umsetzen. Das sei deutlich mehr als die 700 Millionen Dollar des Geschäftsjahrs 2009. Das Marktforschungsunternehmen eMarketer schätzte den Jahresumsatz 2010 im Frühjahr vergangenen Jahres auf 1,86 Milliarden Dollar. Für 2011 hatte eMarketer 4,05 Milliarden Dollar Einnahmen prognostiziert. Das war etwas zu optimistisch, wie die jetzt vorgelegten Zahlen zeigen (3,7 Milliarden Dollar). Für 2012 rechnete eMarketer sogar mit 5,74 Milliarden Dollar.
Facebook muss etwas tun
Um diese Zahlen zu erreichen, muss Facebook etwas tun. Erste Ansätze sind bereits zu erkennen. Bei den hohen Nutzerzahlen, deren Vorlieben und Hintergrund dem Betreiber ja ausgezeichnet bekannt sind, bietet sich einerseits verstärkte Werbung an. Damit wird gerade experimentiert. Andererseits gibt es immer mehr Möglichkeiten, etwa den ICQ Messenger, mit denen Menschen Facebook nutzen, ohne direkt auf der Facebook-Seite zu sein, also die Werbung – so zielgerichtet sie auch immer sein mag – gar nicht mehr sehen.
Eine zweite Möglichkeit ist es, Nutzer zusätzlich zu den von ihnen selbst eingestellten Inhalten auch solche von Facebook anzubieten. Möglicherweise dafür hat das Unternehmen gerade erst einen Redaktionsleiter eingestellt Über dessen Aufgabe kann mangels Informationen von Facebook derzeit nur spekuliert werden. Soll er eine Nachrichtenseite aufbauen, wie sie LinkedIn mit „LinkedIn Today“ hat, die die am häufigsten geposteten Links der Anwender enthält? Bei LinkedIn Today tauchen nur die Überschrift, die Quelle und ein Bild auf. Bei Facebook könnte die Reihenfolge mittels der Anzahl der „Likes“ erstellt werden. Und sicher wäre es auch möglich, bezahlte oder „gesponserte“ Links einzubauen, um etwas Geld in die Kassen zu bekommen.
Ein drittes, wenig in der Öffentlichkeit diskutiertes Geschäftsmodell wäre es, die gesammelten Daten einfach zu verkaufen. Dazu gehören nicht nur die Adressdaten und das Wissen über die Präferenzen der Nutzer, sondern möglicherweise auch die von ihnen eingestellten Inhalte. Was derzeit eher noch auf zufälliger Grundlage passiert, könnte morgen schon Geschäftsmodell sein. Bei kurzem Nachdenken fallen einem viele Verwendungsmöglichkeiten ein: Dümmliche Witzseiten könnten sich aus dem Fundus ebenso bedienen wie Reise- und Touristenführer, selbsternannte Szeneportale oder Partnervermittlungsdienste jeglicher Couleur. Auch das Web-Telefonbuch hat schon vorgemacht, wie so etwas aussehen könnte.
Koloss auf tönernen Füßen
Aber all das steht auf wackligen Füßen. Bei allen auf Facebook basierenden Marketing- und Geschäftsmodellen gehen die Propheten der schönen, neuen sozialen Welt in der Regel davon aus, dass Nutzer den Kreis der Personen nicht eingeschränkt haben, der ihre wertvollen Mitteilungen, Bilder, Bewertungen und Äußerungen sehen darf. Auch die nicht nur in Deutschland noch weitgehend ungeklärte rechtliche Situation all der Daten bei Facebook und der erlaubte Umgang mit ihnen ist ein großes Fragezeichen hinter den Vermarktungsmöglichkeiten von Facebook.
In eine ähnliche Richtung deuten Ergebnisse einer Studie des Marktforschungsinstituts Ehrenberg-Bass. Sie zeigen, dass nur 1,3 Prozent der Nutzer, die eine Unternehmens- oder Marken-Seite anklicken, mit dieser Seite auch interagieren. Die Marktforscher haben dazu mit der Facebook-Metrik „People Talking About This“ gearbeitet, die die zurückliegenden sieben Tage einer Fanpage analysiert und damit sechs Wochen lang das gesamte Fan-Wachstum der 200 wichtigsten Brands in dem Sozialen Netzwerk beobachtet.
Das ernüchternde Ergebnis: Lediglich 0,45 Prozent der Fans einer Seite „arbeiten“ auch wirklich damit. Trotz dieser scheinbar niedrigen Zahl, glaubt die Forscherin Karen Nelson-Field nicht, dass „das eine schlechte Sache ist“. Die Leute müsste eben nur verstehen, was Facebook für einen Brand tun kann und was nicht. „Facebook unterscheidet sich nicht nennenswert von einem Massenmedium. Es ist großartig, um damit eine gewisse Zahl von Menschen zu erreichen, aber damit auch über Nacht die Art und Weise zu ändern, wie Menschen mit einer Marke interagieren, ist schlicht unrealistisch“, wie Nelson-Field gegenüber dem Fachblatt Adage erklärt.
Und schließlich ist nicht unrealistisch, dass Facebook mit all seinen „Verbesserungen“ und Veränderungen – von der unbeliebten Timeline bis zur kommenden Werbeflut – binnen weniger Monate den Charme verliert, den es jetzt für viele noch hat. In Deutschland haben zwar die VZ-Netzwerke das Rennen um die Gunst der Nutzer verloren, aber wer sagt denn, dass die Nutzer nicht auf einmal Google+ für sich entdecken? Oder irgendetwas von Apple? Oder von einer Firma, die heute noch keiner auf dem Radarschirm hat? Und dann könnte Facebook in zwei oder drei Jahren ein ähnliches Schicksal erleiden wie vor ihm schon zahlreiche andere Internetunternehmen – und einfach in der Versenkung verschwinden. AOL, MySpace und Yahoo haben es vorgemacht. Und wie war das in Deutschland noch einmal mit den Lokalisten? Ach ja, da war doch mal was …
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2 Kommentare zu Warum ich keine Aktien von Facebook kaufen werde
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Ausstieg – jetzt
Wie passend. Mein Ausstieg bei Facebook steht schon seit Tagen fest, die Facebook-„Freunde“ können das verstehen – schreiben einige – und … bleiben dennoch dabei. – Danke jedenfalls für den kritischen Bericht.
Analyse
Das nenne ich mal eine realistische Analyse, vielen Dank an dieser Stelle dem Autor dieser.