Interview: Gebrauchtsoftware ist nicht mehr aufzuhalten

Das Thema Gebrauchtsoftware hat viel mit dem gerade wieder außerordentlich populären Thema Fußball gemeinsam: Jeder, den man darauf anspricht, hat eine Meinung, aber die Wenigsten verstehen wirklich etwas davon – was sie dennoch nicht davon abhält, sich dazu zu Wort zu melden. Anlässe dafür gab es in den vergangenen Jahren genug.

Da waren zum einen die zahlreichen Abmahnungen, mit denen die Softwarehersteller versuchen, ihre Pfründe zu sichern, und mit deren Hilfe die Akteure im Markt für Gebrauchtsoftware versuchen, ihr Geschäftsmodell zu schützen. Klarheit durfte man sich davon allerdings nicht erwarten, ging es doch zum Beispiel um Formulierungen in Anschreiben an Kunden, die zu allgemein und pauschal waren, wie Gerichtsurteile zum Thema von der Gegenseite in deren Kommunikation nach außen ausgelegt werden oder darum, wie Formulare ausgefüllt werden müssen oder dürfen, mit denen die Zustimmung des Herstellers zu einer Lizenzübertragung eingeholt wird.

Das sind für die direkt Beteiligten in ihrem Alltagsgeschäft sicherlich wichtige Fragen. Der Allgemeinheit helfen sie allerdings kaum weiter: Erstens ist in den meisten dieser Fälle die Sachlage so verzwickt, dass sich die Gerichtsentscheidung dazu nicht ohne weiteres verallgemeinern lässt, zweitens liefern sie keine Antwort auf die Frage aller Fragen, die Unternehmen tatsächlich bewegt: Darf ich Gebrauchtsoftware erwerben und überzählige Lizenzen verkaufen oder darf ich nicht?

Während vor allem Oracle, aber auch Adobe, Autodesk und andere Hersteller dazu immer eine eindeutig ablehnende Haltung vertreten haben, ist die Sache bei Microsoft verzwickter. Das Unternehmen schien zwischenzeitlich eine offenere Haltung einzunehmen, ja gab sogar Tipps zum Erwerb von Second-Hand-Software und erweckte damit den Eindruck, dass man grundsätzlich nichts dagegen habe, aber eben sicherheitshalber nur einen Blick darauf werfen wolle – damit der unschuldige Kunde nicht in eine böse Lizenzfalle tappt oder etwa windigen Lizenzbetrügern aufsitzt.

Was zunächst ganz vernünftig klingt, ist in der Praxis für die Akteure im Markt nicht wirklich akzeptabel. Erstens wird dadurch der Eindruck zementiert, der Hersteller habe einen Rechtsanspruch auf diese Einmischung beziehungsweise darauf, den Handel zu untersagen und dulde ihn nur aus Großzügigkeit und um seinen Kunden entgegenzukommen. Zweitens machen sie sich dadurch natürlich in ihrem Geschäftsgebaren und bei ihrem Unternehmenserfolg von der Willkür eines Dritten abhängig – was nicht lange gut gehen kann.

Was die Marktteilnehmer und auch viele Verantwortliche in den Firmen brauchen, sind ganz klare, einfache gesetzliche Regelungen beziehungsweise höchstrichterliche Urteile, die auch die letzten Zweifel beseitigen. Solange es daran fehlt, werden die durch ihr amerikanisches Rechtsverständnis geprägten großen Softwareanbieter nicht müde werden, mit der berühmten Taktik von „Fear, Uncertainity and Doubt“ abseitige Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen, um dafür zu sorgen, dass die mit der Interpretation der Rechtslage meist überforderten Verantwortlichen für den Software- beziehungsweise Lizenzeinkauf sich dann doch dafür entscheiden, alles so zu machen, wie es sich der Hersteller vorstellt – einfach, um jedem Ärger aus dem Weg zu gehen.

Allerdings geht der Krug immer nur solange zum Brunnen, bis er bricht – oder der Hersteller vor Gericht, bis auch die höchste Instanz sein Ansinnen abgelehnt hat. Das wird aller Voraussicht nach bald der Fall sein: Im April hat nach jahrelangem Gezerre Yves Bot, der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), den Weiterverkauf gebrauchter Software für rechtens befunden – auch wenn diese nicht auf einem Datenträger, sondern per Download vertrieben wurde. Wichtig zu wissen ist, dass der EuGH in seinem Urteil in aller Regel der Empfehlung des Generalanwaltes folgt und besonders in Deutschland der Bundesgerichtshof, auf dessen Anfrage hin sich der EuGH überhaupt erst mit der Frage beschäftigt hat, die Antwort aus Europa ebenso regelmäßig in die Auslegung der nationalen Normen übernimmt. Alles andere wäre auch verwunderlich: Warum hätte man sonst auch um Rat nachfragen sollen, wenn man die Empfehlung nicht ernst nehmen will?

Heftige Rückzugsgefechte


Peter Schneider, Gründer und Chef des Gebrauchtsoftwarehändlers UsedSoft (Bild: UsedSoft)

So wie es aussieht, wird die Entscheidung des EuGH am 3. Juli bekannt gegeben werden. Das hat die Softwarehersteller, allen voran Microsoft, nicht daran gehindert, kurz vorher die Unsicherheit im Markt noch kräftig zu schüren – und dabei gewaltig übers Ziel hinauszuschießen. In den vergangenen Monaten wurden bei mehreren Händlern Razzien durchgeführt, wobei, wie das Fachhandelsblatt Computer Reseller News meint – „Microsoft nicht einmal vor rechtlich höchst zweifelhaften Mitteln zurückscheut, um gegen den Software-Gebrauchthandel vorzugehen.“ Nach Erkenntnissen des Blattes sei beispielsweise der führende Microsoft-Gutachter für Echtheitsfragen auch für die zuständigen Ermittlungsbehörden tätig gewesen, als es darum ging, bei einem Gebrauchtsoftware-Händler Datenträger zu beschlagnahmen. Computer Reseller News bezeichnet dies unter Berufung auf das Landgericht Berlin als „genauso unmögliche wie rechtlich unhaltbare Vorgehensweise.“ ZDNet sprach mit Peter Schneider, Geschäftsführer des bekanntesten Gebrauchtsoftwarehändlers UsedSoft International, über den Markt, die aktuellen Entwicklungen und die Zukunftsaussichten.

ZDNet: UsedSoft ist der dem Namen nach wahrscheinlich bekannteste Anbieter von Gebrauchtsoftware in Deutschland. Allerdings gab es ja in den vergangenen Monaten einige Irritationen rund um das Unternehmen. Was war denn da los?

Schneider: Eigentlich ist das Ganze relativ unspektakulär: Der wichtigste Investor der Schweizer Muttergesellschaft hat sich kurzfristig aus dem Unternehmen zurückgezogen. Dadurch geriet das Unternehmen in der Schweiz in die Insolvenz – und hat dann im Dominoefffekt auch die deutsche UsedSoft umgeworfen. Ich habe dann die UsedSoft International gegründet und wir machen schon jetzt wieder Business-as-usual.

ZDNet: Was heißt genau „Business-as-usual“?

Schneider: Im – lassen Sie es mich mal so nennen – „Seuchenjahr“ 2011 hatten wir trotz der Insolvenz einen Umsatz von 4 Millionen Euro. Auch in der schwierigsten Zeit kamen im Durchschnitt zwei neuen Kunden pro Woche dazu. Jetzt, wo alles wieder normal läuft, rechnen wir für 2012 mit einem Umsatz von 6 Millionen Euro – also 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Derzeit kommen pro Woche im Durchschnitt vier neue Kunden hinzu.

ZDNet: Im Mittelpunkt Ihres Geschäfts stehen nach wie vor Lizenzen von Microsoft?

Schneider: Ja, das ist immer noch unser Hauptgeschäft. Das Oracle-Geschäft ruht derzeit ja, da warten wir auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes. Und Microsoft-Produkte sind einfach die in Firmen am weitesten verbreiteten.

ZDNet: Sie lassen sich ja den Ankauf von Lizenzen und deren korrekte Weitergabe von einem Schweizer Notar bestätigen. Das nehmen nicht nur ihre Gegner, sondern auch der eine oder andere Lizenzberater zum Anlass, um Zweifel am Geschäftsmodell anzumelden.

Schneider: Die Schweiz ist ja nicht irgendeine Bananenrepublik. Und dass ein Schweizer Notar die Testate für uns erstellt liegt einfach daran, dass der Firmensitz in der Schweiz ist. Als wir ihn noch in München hatten, machte das für uns ein deutscher Notar. Da ist also gar nichts Geheimnisvolles oder Zwielichtiges dran. Allerdings – und das ist schon ein Vorteil für uns – ist das Schweizer Urheberrecht deutlich klarer.

„Wir kaufen die Lizenzen ja nicht beim Teppichhändler hinterm Bahnhof“

ZDNet: Warum wählen Sie denn überhaupt den Weg über die Testate?

Schneider: Wir kaufen die Lizenzen ja nicht beim Teppichhändler hinterm Bahnhof, sondern bei durchaus renommierten Firmen. Aber von denen will nicht jede, dass das bekannt wird. Dafür gibt es mehrere Gründe. Stellen Sie sich einfach mal vor, jemand verkauft 5000 Office-Lizenzen. Dann heißt es doch gleich, da werden womöglich auch 5000 Arbeitsplätze abgebaut. So eine Presse braucht keiner. Jede unserer Quellen hat einen berechtigten Anspruch darauf und ihre eigenen Gründe, nicht genannt zu werden. Mit dem Notar bilden wir das sauber ab.

ZDNet: Von Seiten der Hersteller wird dann argumentiert, Sie würden ja möglicherweise günstige Volumenlizenzverträge auflösen und die unter bestimmten Bedingungen erworbenen Lizenzen unter anderen Konditionen an Leute weiterverkaufen, denen diese Lizenzstufe nie eingeräumt worden wären.

Schneider: Sixt kauft bei Daimler ja auch 1000 Autos und veräußert die anschließend weiter. Da sehe ich nichts Schlimmes drin. Das Landgericht Hamburg hat zudem erst kürzlich geurteilt, dass solche aus marketingtaktischen Erwägungen heraus definierten Preistabellen nicht das geltende Recht ersetzen dürfen. Oder anders gesagt: Eine Lizenz bliebt eine Lizenz – egal zu welchem Preis sie abgegeben wurde.

ZDNet: Es gab in den vergangenen Monaten gleich mehrere Meldungen, wo es zunächst hieß, Händler, die Raubkopien vertrieben haben, seien dingfest gemacht worden, und wo dann die klagenden Hersteller wieder zurückrudern mussten.

Schneider: Das trifft vor allem auf Microsoft zu. Das Unternehmen schießt eindeutig übers Ziel hinaus. Beispielsweise nennen sich Microsoft-Mitarbeiter, die die zuständigen Ermittler bei Beschlagnahmungen begleiten, selbst „Microsoft-Polizei“. Zusätzlich schickt Microsoft Drohbriefe an Kunden und Wettbewerber, die von Mitarbeitern des „Anti Piracy Departments“ unterzeichnet sind. Meiner Auffassung nach konstruiert sich Microsoft mit „eigener Polizei“, mit Lizenzaufklebern, die an Banknoten erinnern, und mit teilweise rechtswidrigen Lizenzbedingungen ein eigenes „Rechtssystem“.

ZDNet: Es kam ja aber doch zu einigen Entscheidungen vor Gericht.

Schneider: Schauen Sie sich aber doch einmal an, wie das abläuft. Da rennen Microsoft, aber auch Adobe und Oracle mit immer derselben Frankfurter Kanzlei zu immer demselben Frankfurter Gericht, um ihr Ansinnen durchzusetzen. Der Monopolist versucht, Recht und Gesetz auszuhebeln, indem mit der Macht eines riesigen Anzeigen-Etats legale Geschäftsmodelle kriminalisiert werden, wenn sie das Microsoft-Monopol bedrohen.

ZDNet: Das klingt mir nun aber doch nach einer Verschwörungstheorie …

Schneider: Ist es aber nicht. Ich sage ja nur, dass es auffällig ist, dass man aus dem Rechtsstaat einen Rechtswegestaat machen will. Von einer Verschwörung habe ich nichts gesagt. Solche Verfahren ziehen sich aber hin und sind für die Betroffenen oft ein großer wirtschaftlicher Schaden. In der Software-Branche wächst jedoch zunehmend der Widerstand gegen dieses Vorgehen.

ZDNet: Woran machen Sie den wachsenden Widerstand fest?

Schneider: Zum Beispiel nimmt die Zahl der Marktteilnehmer zu: Nachdem UsedSoft vor neun Jahren den Markt für Gebrauchtsoftware ins Leben rief, haben sich immer mehr kleinere Anbieter am Markt etabliert. In der Branche wird vermutet, dass Microsoft jetzt noch möglichst viel Schaden im Lager der Wettbewerber anrichten will, ehe der Europäische Gerichtshof demnächst seine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Weiterverkaufs von Software verkündet. (Anmerkung der Redaktion: Der Termin dafür ist für den 3. Juli angesetzt)

ZDNet: Es gibt und gab in dem Markt aber doch auch einige schwarze Schafe.

Schneider: Das stimmt schon. Aber es ist ja ein Unterschied, ob man eine Lizenz mit notariellem Testat oder Boxen mit allem Drum und Dran weiterverkauft, oder ob man Aufkleber von Datenträgern abrubbelt und diese dann getrennt jeweils als eine Lizenz weiterverkauft. Das Problem ist jedoch, dass die Hersteller hier bewusst Blendgaranten werfen, um das ganze Marktzsegment zu kriminalisieren – und die Kunden gleich mit. Stellen Sie sich einfach mal vor, jemand vom Falschgelddezernat kommt zu Ihnen ins Haus, und verlangt die Überprüfung der Sparbüchse, da dort ja Falschgeld drin sein könnte.

„Anmaßendes Gebaren der Auditoren“

ZDNet: Viele Firmen wissen ja aber genau, dass sie bei der Lizenzierung ein paar Leichen im Keller haben, einfach, weil sie komplett den Überblick verloren haben.

Schneider: Über Audits machen sich viele Firmen viel zu große Sorgen und machen daher in vorauseilendem Gehorsam Zugeständnisse, die überhaupt nicht notwendig wären. Erst einmal muss ein Audit ja angekündigt werden. Dann ist ein Audit immer stichtagbezogen, das heißt, es gilt der Stand der Lizenzierung am Tag des Audits. Rückwirkende Strafzahlungen oder Ähnliches sind gar nicht zulässig.

Und man muss sich das häufig anmaßende Gebaren der Auditoren auch nicht ohne Weiteres gefallen lassen. Ich kenne Kunden, die sich da auf die Hinterfüße stellen und zum Beispiel verlangt haben, dass die Auditoren unterschreiben, dass sie die volle Haftung für alle Folgen übernehmen, die durch den Einsatz ihrer Kontrollsoftware entstehen. Da haben die dann ihren ganzen Kram schnell wieder eingepackt und sind abgezogen.

ZDNet: Wie geht es denn Ihrer Meinung nach weiter, wenn der EuGH und dann der Bundesgerichtshof den Weiterverkauf auch online erworbener Software für zulässig erklärt haben? Ist dann das Gezerre um die Lizenzproblematik zu Ende?

Schneider: Ich glaube vor allem Microsoft bleibt in seiner Welt. Der Konzern will einfach nicht akzeptieren, dass seine im angelsächsischen Recht wurzelnden Lizenzbedingungen sich in anderen Rechtsordnungen so nicht durchsetzen lassen. Aber wer immer nur den Hammer hat, sieht eben immer auch nur den Nagel als Problem.

Den Markt aufhalten wird das aber auch nicht mehr. Nach meiner Auffassung hat Microsoft mit seinem Verhalten längst die Grenzen der Legalität überschritten. Hier sind auch die Softwarekunden gefordert, die sich das selbstherrliche Verhalten ihres Dienstleisters und die überhöhten Preise nicht mehr bieten lassen dürfen.

ZDNet: Die Kanzlei FPS Rechtsanwälte & Notare, die auch für Softwarehersteller tätig ist, hat heute in einer Pressemeldung zu dem erwarteten Urteil des EuGH Stellung genommen. Da heißt es: „Aus dem Gutachten des Generalanwalts geht hervor, dass gebrauchte Software weiterverbreitet werden darf, wenn der ursprüngliche Lizenznehmer die Software mit Zustimmung des Herstellers auf einem Datenträger kopiert hat. Allerdings bleibt es unzulässig, genau diese Softwarekopie noch einmal zu vervielfältigen, da sich nach Ansicht des Generalanwalts das Vervielfältigungsrecht nicht erschöpft. Damit bleibt auch das Erstellen zusätzlicher Softwarekopien mit dem Zweck, diese weiterzuverkaufen, verboten. Das Weiterverbreitungsrecht bezieht sich nur auf die eine ursprüngliche, vom Erstkäufer erstellte Kopie.“

Schneider: Darum geht es doch gar nicht. Der wirklich wichtige Punkt ist, dass der EuGH entscheidet, dass Software sich erschöpft. Alles andere ist nebensächlich. So stellt sich die Frage der Vervielfältigung gar nicht. Worum es dem Generalanwalt – und vermutlich nächste Woche auch dem EuGH – geht, ist, dass nur der Datensatz weiterverkauft werden kann, der ursprünglich vom Erstkäufer erworben wurde. Dieser kann natürlich ohne Weiteres weiterverkauft werden, etwa in Form der Sicherungskopie, die der Ersterwerber ja anfertigen darf.

ZDNet.de Redaktion

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