Tim Berners-Lee bezeichnet Vorratsspeicherung als „Dynamit“

Die gesammelten Daten lassen sich etwa für Erpressung verwenden. Menschen werden abgeschreckt, das Internet für intime Dinge zu nutzen - etwa Sexualberatung. Und Verbrecher finden ohnehin immer Alternativen.

Web-Erfinder Tim Berners-Lee hat die von der australischen Regierung vorgeschlagene Vorratsspeicherung von Internetdaten als „massive Gefahr“ und „Dynamit“ bezeichnet. Wenn es gelinge, solche Daten zu stehlen, sei Erpressung im großen Stil möglich. Seine Kritik weist aber über Australien hinaus – sie lässt sich auf jede Art von Vorratsspeicherung von Internet-Verbindungsdaten anwenden.

Tim Berners-Lee

Der australische Gesetzesvorschlag ist der von der EU eingeforderten und in Deutschland geplanten, aber vom Bundesverfassungsgericht zumindest in der 2010 vorliegenden Form gekippten Vorratsspeicherung nicht unähnlich: Die Provider sollen ihre Netze durchlaufende Daten bis zu zwei Jahre lang archivieren. So will man die Verbrechensbekämpfung erleichtern.

Berners-Lee verwies bei einer Rede in Sydney auf die Probleme, die ein solches Gesetz für Einzelne haben kann: „Sie stellen eine Welt her, in der Teenager fürchten müssen, für zwei Jahre gebrandmarkt zu sein, wenn sie sich in einer Notsituation befinden und das Angebot eines Beratungsdienstes in Anspruch nehmen.“ Solche Daten vorzuhalten sei eine tickende Bombe: „Diese Daten sind so gefährlich, Sie müssen sich das wie Dynamit vorstellen. Sie legen so Akten jeder Person im Land an, die eine Erpressung ermöglichen, falls sie gestohlen werden oder abhandenkommen.“

Eine Kontrolle durch die Regierung hält der Erfinder des World Wide Web überdies für absurd: „Wenn man etwas so Gefährliches hat, und eine Regierungsbehörde kümmert sich darum, dann braucht man wirklich eine zweite Behörde, die prüft, was die erste tut. Ich sehe bisher kein Land, das beide eingerichtet hat.“

Das Motiv der Verbrechensbekämpfung hält Berners-Lee ohnehin für nicht stichhaltig: Kriminelle würden immer eine Ausweichmöglichkeit finden – etwa verschlüsselte, sichere Netze. „Sie werden Tor verwenden, oder einen zwischengeschalteten Knoten. Sie werden sich Mühe mit der Absicherung geben. Sie werden einen Tunnel oder ein VPN aufmachen.“ Eine Archivierung der Verbindungsdaten werde „keine Informationen enthalten, die Verbrecher stoppen, sondern nur die Leute, die zu viele Bücher aus der Bibliothek entliehen haben.“ Anonymisierungsmöglichkeiten abzuschalten sei auch kein Weg, da es dafür legitime Anwendungsfälle gebe.

Stattdessen schrecke eine Vorratsspeicherung nur diejenigen ab, die das Internet für legitime, aber sehr private Zwecke nutzen, etwa bei Fragen zur Sexualität. „Stellen Sie sich vor, jemand könnte letztlich das Web für diese sehr intimen Dinge nicht nutzen. Denken Sie daran, dass wir manchmal in Online-Kommunikation Dinge verraten, die wir unseren engsten Freunden nicht anvertrauen würden.“

[mit Material von Michael Lee, ZDNet.com]

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1 Kommentar zu Tim Berners-Lee bezeichnet Vorratsspeicherung als „Dynamit“

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  • Am 2. Februar 2013 um 9:39 von jogi54

    Ich empfehle jedem, mal die neuesten AGBs von Skype zu lesen. Da stimmt man sogar zu, dass aller VOIP Verkehr in Text umgewandelt und genutzt werden darf.

    lg jogi

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