Das Landgericht Köln hat Ende vergangener Woche zum zweiten Mal – und diesmal ausführlich – zu den Auskunftsanträgen des Rechtsanwalts Daniel Sebastian im Auftrag der The Archive AG Stellung genommen (PDF). Ihre Genehmigung durch Richter des Gerichts hatte letztlich die Abmahnwelle durch die Regensburger Kanzlei Urmann + Collegen ermöglicht, da diese so in der Lage war, den hinter den bei den Anträgen angegebenen IP-Adressen Anschlussinhaber zuzuordnen, die beim Streaming-Portal Redtube ein angeblich urheberrechtlich geschütztes Werk abgerufen haben.
Einige der Kammern, die Anträge von Sebastian genehmigt hatten, haben nun mitgeteilt, dass sie „die inzwischen aufgetauchten Bedenken u.a. an der Ordnungsgemäßheit der Ermittlung der IP-Adressen für beachtlich halten“ und dass sie „dazu neigen, an ihrer ursprünglichen Einschätzung nicht mehr festzuhalten und den Beschluss aufzuheben bzw. auszusprechen, dass dadurch der Anschlussinhaber in seinen Rechten verletzt wurde.“
Die Richter geben damit einfacher ausgedrückt zu, dass sie bei der Genehmigung der Anträge Fehler gemacht oder diese zu oberflächlich geprüft haben beziehungsweise auf die irreführenden Angaben der Antragssteller hereingefallen sind. Dies hatten Anwälte schon vor mehr als einer Woche gemutmaßt.
Das Gericht hat zudem angekündigt (PDF), zwei Entscheidungen, in denen die Anträge abgewiesen wurden, in den nächsten Tagen öffentlich verfügbar zu machen. Sie werden dann in der Datenbank nrwe.de unter den Aktenzeichen 228 O 173/13 und 214 O 190/13 zu finden sein.
Ein Grund für die aktuelle Stellungnahme und wohl auch das Überdenken der ursprünglichen Entscheidung einiger Richter sind die über 50 bisher eingegangenen Beschwerden gegen die Beschlüsse. Endgültige Entscheidungen dazu werden frühestens im Januar erwartet.
Ein zweiter Grund ist, dass inzwischen die Staatsanwaltschaft Köln gegen einen Mitarbeiter der Firma ermittelt, die angeblich die IP-Adressen der Redtube-Nutzer festgestellt hat. Sie geht dem Verdacht der eidesstattlichen Falschaussage nach. Er hatte in einem Anhang zu den Auskunftsanträgen bescheinigt, dass die IP-Adressen von der Firma und der von ihr verwendeten Software ordnungsgemäß ermittelt wurden.
Dritter Grund schließlich sind die den Richtern nun gekommenen Zweifel an einem Gutachten der Kanzlei Diehl & Partner zur Eignung der zur IP-Adresssammlung eingesetzten Software. „Das Gutachten […] vom 22. März 2013 befasst sich mit der Erfassung des von dem Gutachter selbst initiierten Downloadvorgangs. Dass auch Downloads von anderen Rechnern zuverlässig erfasst würden, ergibt sich hieraus letztlich nicht“, heißt es in einem Schreiben. „Insoweit ist der Kammer derzeit auch nicht erkennbar, wie das eingesetzte Ermittlungsprogramm in der Lage sein soll, die IP-Adresse des Downloaders zu erfassen, der lediglich mit dem Server kommuniziert, auf dem das Werk hinterlegt ist. Es bleibt mithin die Frage unbeantwortet, wie das Programm in diese zweiseitige Verbindung eindringen kann.“
Wäre diese Einsicht den Richtern früher gekommen, hätte sie zur Ablehnung der Auskunftsanträge geführt und tausenden von Webnutzern die Abmahnung im Briefkasten erspart. Die rund 90 Anträge mit jeweils 400 bis 1000 beigefügten IP-Adressen wurden am Landgericht Köln von 16 unterschiedlichen Zivilkammern bearbeitet – von denen manche die Anträge zurückwiesen, die meisten sie aber genehmigten. Das Gericht hatte bereits am 10. Dezember dazu erklärt: „Mit der Entscheidung über die Auskunftsanträge ist keine Aussage darüber verbunden, ob der Anschlussinhaber, dem eine bestimmte IP-Adresse zugeordnet war, selbst die behauptete Urheberrechtsverletzung begangen hat und ob die Abmahnung hinsichtlich der Höhe berechtigt ist.“
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[mit Material von Peter Marwan, ITespresso.de]
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Eine weitere Justiz-Posse.
Nicht das Kölner Gericht wurde getäuscht, sondern das Gericht selber hat getäuscht!
Kürzlich verurteilte der BGH einen Rechtsanwalt [RA] wegen (versuchter) Nötigung, weil die Mahnschreiben des Juristen den Anschein erweckten, der RA habe die Forderungen seiner Auftraggeber überprüft (BGH-Beschluss vom 05.09.2013 – 1 StR 162/13). Entscheidend war, dass der RA mit der Autorität eines Organs der Rechtspflege in verwerflicher Weise geprüfte Rechtsansprüche behauptet hatte, diese Prüfung aber gar nicht durchgeführt hatte.
Wo ist der Unterschied zu dem Handeln des Kölner Gerichts?
Wozu braucht es Richter, wenn Behauptungen und Berechtigung nicht wirklich auf technische, sachliche und rechtliche Plausibilität geprüft werden. Wie kann eine möglicherweise technisch unzuverlässige einseitige „Eidesstattlichen Versicherung“, Grundlage einer nicht mehr heilbaren Entscheidung wie der Herausgabe von Nutzerdaten sein. Einmal herausgegeben, kann man diese – erst einmal ins Ausland verbracht – nicht mehr einfangen.
Gegenüber technischen Geisterfahrern braucht eine solche „Eidesstattliche Versicherung“ ja in dem sachlich „Versicherten“ nicht einmal richtig falsch zu sein, sondern inhaltlich nur geschickt dümmlich, also technisch unzureichend für einen Nachweis des Behaupteten; dann kann man demjenigen, der sie abgegeben hat, nichts anhaben, erst recht nicht, wenn er auch noch im Ausland sitzt. Selbst Gutachter können für ihre „fachliche Meinung“ ja nicht belangt werden.
Die Nutzerdaten sind draußen, ob diese „Versicherung“ vom nicht zugänglichen Ausland aus nun frisiert wurde oder nicht.
Angemessen wäre für solche Fälle (Antrag auf Herausgabe von Nutzerdaten) das Hinterlegen einer nennenswerten Sicherheitsleistung bei einem inländischen Gericht, pro Nutzer in Höhe der üblicherweise angemahnten Beträge.