Zehntausende Bürger sind gestern in Ungarn auf die Straße gegangen, um gegen die von der Regierung geplante Steuer auf Internet-Traffic zu demonstrieren. Sie zogen durch das Zentrum der Hauptstadt Budapest und forderten die Regierungspartei Fidesz auf, einen entsprechenden Gesetzentwurf zurückzuziehen. Sollte dieser zu geltendem Recht werden, hätte dies nicht nur negative Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes, sondern vor allem auch auf den Bildungssektor und die Meinungsfreiheit, so die Befürchtungen der Protestler.
In seiner jetzigen Fassung sieht der Entwurf ab 2015 für Internet Service Provider eine Steuer von 150 Forint (umgerechnet 0,49 Euro) pro Gigabyte Datenverkehr vor, der von Privatkunden und Firmen verursacht wurde. Auch wenn die Regierung betont, dass die Steuer nur für ISPs gelte, gibt der ungarische Branchenverband für IT und Telekommunikation zu bedenken, dass seine Mitglieder dazu gezwungen wären, die dadurch entstehenden Kosten in Form von Preiserhöhungen an ihre Kunden weiterzugeben.
Der Demonstrationszug in Budapest startete am Sonntag auf dem József-Nádor-Platz und ging bis zum Heldenplatz. Einige Protestler zogen anschließend bis zum Hauptquartier der nationalkonservativen Fidesz-Partei weiter, wo sie Tastaturen, Computermäuse und alte Gadgets auf das Gebäude warfen und mehrere Fensterscheiben beschädigten, wie das Budapest Business Journal (BBJ) berichtet. Zwei Demonstranten gelang es demnach, auf den Balkon des Fidesz-Gebäudes zu klettern und dort unter dem Beifall der Menge eine EU-Flagge zu befestigen.
Zuvor hatte Neelie Kroes, EU-Kommissarin für die Digitale Agenda, Twitter-Nutzer dazu aufgerufen, die Nachricht über den geplanten Gesetzentwurf zu verbreiten und sich mit den Protestlern zu solidarisieren: „Ich bitte Sie, sich den über Ungarns Internet-Steuerpläne erbosten Menschen anzuschließen oder sie zu unterstützen, die heute ab 18 Uhr demonstrieren“, schrieb sie am Sonntag auf Twitter.
I urge you to join or support people outraged at #Hungary Internet tax plan who will protest 18h today #Budapest – http://t.co/lDtB2a6Jt8
— Neelie Kroes (@NeelieKroesEU) 26. Oktober 2014
Auf von Demonstranten hochgehaltenen Transparenten war AFP zufolge unter anderem zu lesen: „Freies Wi-Fi! Freies Internet! Freies Ungarn“. Außerdem rief die Menge laut Hungary Today Parolen wie „Wir wollen Demokratie“ und „Viktator“, eine Kombination aus dem Wort Diktator und dem Vornamen von Ministerpräsident Viktor Orbán.
Die Protestler kündigten an, innerhalb von 48 Stunden erneut auf die Straße zu gehen, sollte der Gesetzentwurf nicht zurückgezogen werden. Am Montagmorgen erklärte ein Fidesz-Sprecher gegenüber Medienvertretern, dass die Demonstrationen die Regierung nicht dazu bringen werden, die Pläne für die Besteuerung des Internetverkehrs aufzugeben, wie BBJ meldet. Allerdings kündgte die Regierungspartei laut EUobserver noch am Sonntag an, dass für die neue Steuer eine monatliche Obergrenze von 700 Forint (2,27 Euro) für Privatpersonen und von 5000 Forint (16,20 Euro) für Unternehmen gelten soll.
Ungarns Regierung sah sich schon mehrfach Vorwürfen einer antidemokratischen Politik ausgesetzt. In den vergangenen Jahren führte sie bereits neue Steuern für Banken, den Handel, den Energie- und den Telekomsektor ein, um die Schuldenlast des Landes zu mindern.
[mit Material von Andrada Fiscutean, ZDNet.com]
Neueste Kommentare
1 Kommentar zu Zehntausende Ungarn protestieren gegen geplante Internet-Steuer
Kommentar hinzufügenVielen Dank für Ihren Kommentar.
Ihr Kommentar wurde gespeichert und wartet auf Moderation.
Das ist doch mal eine geniale Idee.
So kann man seinen Staatshaushalt auch sanieren.
Hat aber einen kleinen Fehler.
Man sollte die „Steuer“ auch von den Nutzern nehmen.
Dann wäre der Traffic nicht mehr so hoch, man hätte bestimmt keinen Stau mehr und viele, viele User kämen endlich mal wieder unter die „richtigen Freunde“ und nicht nur die von Facebook.
Ach ja, in Deutschland sollte man dies auf jeden Fall auch ganz schnell einführen.
Wenn es der 1. April wäre, hätte ich an einen nicht so gelungenen Aprilscherz gedacht und die Story schnell wieder vergessen.
Leider sieht man, die Realität ist noch viel schlimmer.