Die Bürgerrechtsgruppe Electronic Frontier Foundation (EFF) feiert den abgebrochenen Versuch Russlands, Wikipedia zu zensieren, als Erfolg. Da Wikipedia Zugriffe standardmäßig verschlüsselt, gelang es russischen ISPs nicht, den Zugriff für einzelne Seiten zu beschränken. Die dadurch nötige Komplettsperre gab die Zensurbehörde Roskomnadsor nach weniger als 24 Stunden wieder auf.
Russland wollte eine Seite über das Cannabis-Produkt Tscharas zensiert sehen. Die russische Wikipedia reagierte – indem sie den fraglichen Eintrag verbesserte und den Namen um den Zusatz „(Betäubungsmittel)“ ergänzte. Auch wurde auf wissenschaftliche Artikel und UN-Daten Bezug genommen. Ein Hinweis, dass Tscharas in Russland verboten ist, fehlt ebenfalls nicht. Roskomnadsor beharrte dennoch auf seinem Löschbegehren und drohte im Sozialen Netz VK.com mit Zensur durch die ISPs.
Die Situation eskalierte, und Russland sperrte Wikipedia am Montagabend vor einer Woche komplett – aber nur bis Dienstag, wie der Guardian berichtete. Der Grund: Eine „Welle der Panik“ habe sich bei den russischen Internetnutzern ausgebreitet. Daraufhin hob Roskomnadsor die Sperre wieder auf, mit der Begründung, der Artikel sei wunschgemäß überarbeitet worden.
Parker Higgins von der Electronic Frontier Foundation (EFF) bezeichnet dies nun als Erfolg der zunächst kontrovers diskutierten, aber dann doch im Juni eingeführten Standard-Verschlüsselung mit TSL/SSL bei Wikipedia. Gegner der HTTPS-Verschlüsselung hatten genau das befürchtet: Ihrer Auffassung nach würden einzelne unliebsame Artikel so zur Blockade der gesamten Wikipedia führen. Ihrer Auffassung nach müsste zwischen dem Wert der einzelnen, zugänglichen Information und dem Wert des gesamten, aufgrund einer Blockade nicht mehr zugänglichen Wissens abgewogen werden.
Der US-Datenschützer schreibt: „Das Beispiel dieser Woche aus Russland war einer der ersten Fälle, in denen Regierungsbehörden zwischen allem und nichts zu wählen gezwungen waren. Glücklicherweise liefert es zumindest ein Indiz, dass die Theorie funktioniert. Nach nur wenigen Stunden der Blockade gab Russland seine Haltung auf.“
Higgins verweist auf andere Fälle, in denen Komplettverschlüsselung eine Zensur vereitelte. So sei es China nicht gelungen, einzelne Repositorien auf GitHub zu sperren – nämlich die von Greatfire.org, wo sich unter anderem Werkzeuge zur Umgehung der „Großen Firewall“ finden. Auch dass der Iran über die Jahre hinweg Google Reader als Quelle unzensierter Nachrichten nur gelegentlich (zusammen mit anderen Google-Diensten) sperrte, lag Higgings zufolge an Googles durchgängiger Verschlüsselung.
Natürlich sei Zensur nur eine von mehreren Bedrohungen des offenen und freien Internets, schreibt die EFF auch. Dennoch spreche alles dafür, dass Medien und Webdienste dem Vorbild von Google und Wikipedia, The Intercept und Washington Post folgen – und HTTPS-Verschlüsselung zum Standard machen.
[mit Material von Peter Marwan, ITespresso.de]
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