Die stumme Agonie von Gaia-X

GAIA-X sollte eine europäische Dateninfrastruktur der nächsten Generation werden. Es gab von Anfang viele Zweifler, ob diese Initiative Erfolg haben würde. In einem Gastbeitrag reiht sich Andrea Wörrlein, Geschäftsführerin von VNC in Berlin und Verwaltungsrätin der VNC AG in Zug, in die Reihe der Skeptiker ein und sagt zum Abschied leise Servus.

Manchmal ist es wirklich nicht schön, Recht zu behalten – wie jetzt im Fall Gaia-X. Zwei Jahre ist es her, dass das Projekt beim Digital-Gipfel 2019 in Dortmund vorgestellt wurde und es drängt sich die Frage auf: Was ist seitdem eigentlich passiert? Dem plakativen Durchschneiden bunter Bänder auf frischem Teer folgten in den Sechziger- und Siebzigerjahren immerhin noch fröhliche Jungfernfahrten auf neuen, echten Fernstraßenkilometern. Den wohlfeilen Ankündigungen, Europa neue Digitalisierungsautobahnen samt eigener IT-Infrastruktur schenken zu wollen, folgte dagegen: nichts!

Die letzte Gaia-X-Meldung des sonst so emsig selbst marginalste IT-Positiva bejubelnden Digitalverbands Bitkom datiert vom 18. November 2020 und beinhaltet lediglich einen euphemistischen Kommentar zum anstehenden Gaia-X-Summit. Was der an konkreten Ergebnissen denn so gezeitigt haben könnte, mag die Tatsache illustrieren, dass es danach nicht eine einzige, noch so klitzekleine Meldung darüber gab. Funkstille als untrügliches Indiz für Substanzfreiheit. Eine digitale Null sozusagen. Noch Fragen?

Wobei, als Konsequenz aus der Gipfel-Nullnummer ist bei den Gaia-X-Machern Anfang des Jahres wohl die nichts anderes als Verzweiflung dokumentierende Einsicht gereift, dass in dieser Konstellation ein solches Innovations- und Souveränitätsprojekt nicht aus eigener Kraft zu stemmen sei – was ja schon ein Widerspruch in sich ist. Das war und ist die erste Bankrotterklärung europäischer Digitalisierungspolitik. Und die zweite folgt sogleich. Denn auch die erhoffte Anschubhilfe durch außereuropäische Internetgiganten hat nicht zu zähl- oder vorzeigbaren Resultaten geführt. Es geht also offensichtlich weder ohne noch mit gütlichem Zutun der IT-Konzerne aus den Silicon-Tälern dieser Welt.

Wie kann man so naiv sein, zu glauben, ausgerechnet Amazon, Google, Alibaba, Microsoft & Co. würden sich beim Aufbau ihrer eigenen Konkurrenzveranstaltung ganz selbstlos ins Zeug legen und die zigmilliardenschwere Digitalisierungsrendite brüderlich teilen? Da hat jemand die Share Economy aber mal so richtig missverstanden. Altruismus als Business-Treiber? Guter Scherz! 

Es gab genügend Stimmen, die dringend davor gewarnt haben, für den Aufbruch in die eigene digitale Souveränität die Lotsen fremder Megatanker an Bord zu nehmen oder eine US-Firma wie Palantir als Mitglied zu akzeptieren, die als Big-Data-Dienstleister für Geheimdienste und autoritäre Regimes bekannt sein dürfte. Das zum Thema „Wertegemeinschaft“. Aber diese Einwände helfen jetzt auch nicht mehr weiter. Wo sind denn die Exzellenzinitiativen zur Förderung von Künstlicher Intelligenz und Machine Learning, wo ist der Anschub für die gezielte Aus- und Weiterbildung von IT-Experten und wo bleiben die konkreten Pläne für neue digitale Wertschöpfungsketten und öffentliche Dienstleistungen?

Wo ist der mitreißende Masterplan für die digitale Zukunft Deutschlands mit Strahlkraft für unsere europäischen Partner, etwa zum Aufbau vernetzter Datacenter-Cluster oder einer gemeinsamen offenen Software-Industrie? Alles zerrieben wie ein Placebo in der kalifornischen Brandung. Oder soll man treffender sagen: in den Zeitlupen-Mühlen typischer Klientelpolitik? IT denkt und handelt in anderen Dimensionen, sprich weitaus kürzeren Zeiträumen und agileren Strukturen. Gaia-X dagegen steht stellvertretend für das Versagen gouvernementaler Digitalinitiativen. Mit dem Aufbau autonomer digitaler Zahlungssysteme tun wir uns ja ähnlich schwer. 

Man muss nicht auf die durch den zunehmenden Zerfall der globalen amerikanischen Ordnungsmacht geprägte Welt von morgen verweisen, um die Bedeutung der Digitalisierung für Prosperität und Selbstbestimmung von Industrien und Volkswirtschaften, Staaten und Wirtschaftsräumen zu plakatieren. Sie gilt schon heute. Statt streng geheime Daten in US-Clouds zu speichern, wäre es einfacher, sie direkt an CIA und NSA zu adressieren – mit freundlichen Grüßen. Systemisch formuliert: Digitale Souveränität ist eine Bedingung der Möglichkeit strategischer Autonomie. Deutschland ist gerade dabei, sie mit freundlich-obstruktivem Begleitschutz der übermächtigen Konkurrenz auf höchster Ebene in den Sand zu setzen.

Themenseiten: Cloud-Computing, VNC

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