Als diese Zeilen geschrieben wurden, war die NFL-Season 2023 gerade mit den ersten Preseason-Games gestartet. Nicht zuletzt aufgrund seit Jahren andauernder Expansionsbestrebungen der Liga-Leitung kommen auch bei uns immer mehr Menschen auf den Geschmack, diesen ur-amerikanischen Sport im Fernsehen und Internet zu verfolgen.
Was halbwegs digital erfahrenen Menschen dabei schon bei einem Blick auf den Bildschirm auffällt auffällt: Die Liga und der ausgeübte Sport sind in einem mitunter extrem wirkenden Maß technisiert und insbesondere digitalisiert – und damit ist beileibe nicht nur die in den TV-Bildern omnipräsente Werbung für den langjährigen NFL-Partner Microsoft Surface gemeint.
Doch wie drückt sich das in der NFL aus und warum gerade hier in einem solchen Ausmaß?
Es dürfte heute nur noch sehr wenige Profisportarten geben, die nicht in irgendeiner Form auf digitale Unterstützung setzen. Beschäftigt man sich jedoch tiefer mit der Football-Profiliga, fällt schnell eines auf: Was körperliche Teamsportarten anbelangt, gibt es wahrscheinlich keine andere Disziplin, in der Digitalisierung eine so große Rolle spielt.
Mancher könnte geneigt sein, dies maßgeblich mit der US-amerikanischen Digitalaffinität zu erklären. Diese mag vielleicht tatsächlich eine gewisse Rolle spielen – sicherlich jedoch nicht mehr als eine unterstützende. Die wahren Gründe, warum die NFL eine so digitale Liga ist, liegen woanders:
Last, but not least, muss die NFL als Wirtschaftsfaktor betrachtet werden. Sie ist (mit großem Abstand) die umsatzstärkste und wertvollste Profisportliga der Welt. Dadurch ist sie in vielerlei Hinsicht weit über einen Punkt hinaus, an dem womöglich milliardenschwere Entscheidungen allein auf menschlichen Merkmalen basierend gefällt werden.
Wenn etwa ein Patrick Mahomes, Star-Quarterback der Kansas City Chiefs, einen zehn-Jahres-Vertrag mit unglaublichen 477 Millionen Dollar Mindestgage garantiert bekommt, dann dürften solche Faktoren wie seine weitere Leistungsentwicklung und ähnliche Big-Data-Analysen im Hintergrund eine maßgebliche Rolle gespielt haben.
Neben diesen „inneren Gründen“ ist es zudem nötig, die NFL als Liga für Dutzende Millionen von Zuschauern zu betrachten. In der NFL sind nicht nur die Ausgaben extrem (wenngleich die Spielergehälter tatsächlich gedeckelt sind), sondern ebenso die Einnahmen. Die Saison 2021 brachte der Liga gut 17 Milliarden Dollar ein. Zum Vergleich: Zum Jahrtausendbeginn waren es „nur“ etwa 4,25 Milliarden Dollar.
Gleichsam handelt es sich bei den Mannschaften nicht um Teams klassischer Prägung (wie etwa im Fußball), sondern Franchises. Völlig anders verhält es sich daher mit dem Thema Fan-Leidenschaft.
Aus all diesen Gründen heraus, und in Verbindung mit der komplexen Spielmechanik, entsteht eine Notwendigkeit: Alles, was auch nur im Entferntesten spiel- und somit meisterschaftsentscheidend sein könnte, wird längst nicht mehr nur menschlichem Urteilsvermögen überlassen.
Nehmen wir den Videobeweis: In der NFL wurde bereits 1986 eine entsprechende Technik probeweise eingeführt. Sie etablierte sich 1991 und das aktuelle System besteht seit 1999.
Wo es in der Fußball-Bundesliga Jahre brauchte, um eine solche Technik zu etablieren und bis heute leidenschaftliche Kritiker vor einer „Technisierung“ warnen, ist der Videobeweis in der NFL absolut etabliert. Mehr noch: Er wird von der großen Mehrheit der Fans als Garant für Fairness angesehen und konnte bereits mehrfach durch Korrektur falscher Entscheidungen Spiele drehen.
Das NFL-Regelwerk ist für Neulinge sicherlich nicht leicht zu durchschauen. Was jedoch die Digitalisierung anbelangt, lässt sich eines feststellen: Liberalismus trifft hier auf konkrete Grenzen. So ist es beispielsweise möglich (und Usus), mittels Richtmikrofone die Gespräche der Spieler auf dem Feld aufzufangen und sie in die Streams und TV-Übertragungen einzubauen.
Weitere Nachweise dieser Einstellung:
Auffällig ist hierbei die weitgehende Abwesenheit kritischer Stimmen. Sowohl aufseiten der Fans als auch der Teams werden derartige Techniken mehrheitlich positiv bewertet, weil sie ein komplexes Spiel besser „beherrschbar“ und übersichtlicher machen.
Allerdings ist das alles nur der aktuelle Stand. Weniger digital wird die NFL sicherlich nicht werden. Derzeit beispielsweise experimentiert die Liga zusammen mit acht Universitäten mit technischen Ansätzen zur Messung von Kopfbelastungen im Helm. Sie könnten künftig dabei helfen, das notorisch von Gehirnerschütterungen geplagte Spiel (insbesondere bei einigen Positionen wie dem Quarterback) weniger gefährlich zu machen.
Das alles sind fraglos ausdrucksstarke Nachweise dafür, wie digital die NFL schon längst ist. Häufig allerdings kommt hierbei die Digitalisierung abseits der Stadien etwas zu kurz. Diesbezüglich dürfte es wohl keinen besseren Nachweis für die Einstellung der gesamten Liga geben als der Big Data Bowl.
Wo nur wenige andere Sportdisziplinen derart umfassende Daten erheben, um Performance und Sicherheit zu messen und zu erhöhen, ist der Wunsch nach noch besserer Analyse gigantisch.
“The league understands the need to fully embrace that what
data analytics and the digitalization of the world really involves has
to be brought in-house for us to take full advantage of it.”
So sagte es Paul Ballew, Chief Data and Analytics Officer der NFL.
Seit nunmehr fünf Jahren hält die Liga daher einmal jährlich besagten Wettbewerb ab. Zusammen mit Partnern aus der Wirtschaft werden dabei neue Köpfe und kreative Ansätze gesucht, um das Spiel zu optimieren. Im Big Data Bowl 2023 lautete beispielsweise die Vorgabe, neue Ansätze zu finden, um Pass-Blocking- und Pass-Rushing-Leistungen besser zu analysieren.
Zwar ändert sich die Zielvorgabe jedes Jahr. Stets geht es jedoch darum, datenbasierende digitale Lösungen zu finden – für einen Sport, der im Prinzip einfach ist, aber durch seine Ausrichtung mehr als genug Raum lässt, um durch Digitalisierung maßgeblich verändert und verbessert zu werden.
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