Am 16. Januar 2023 ist die NIS2-Richtlinie in Kraft getreten und muss von den Mitgliedstaaten bis zum 17. Oktober 2024 in nationales Recht umgesetzt werden. In Deutschland liegt bereits ein Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums zum NIS-2-Umsetzungsgesetz (NIS2UmsuCG) vor. Die neue Richtlinie wird die Zahl der betroffenen Unternehmen hierzulande massiv erhöhen – zwischen 30.000 und 40.000 Firmen werden unter die schärferen Vorgaben von NIS2 fallen. „Viele von ihnen dürften sich dessen jedoch gar nicht bewusst sein, obwohl bei Nichteinhaltung empfindliche Strafen drohen“, warnt Bernhard Kretschmer von NTT, und rät Unternehmen, sich dringend folgende Fragen zu stellen.
Falle ich unter die NIS2-Richtlinie?
Die Behörden teilen einer Firma nicht mit, ob die neuen Vorgaben auf sie zutreffen oder nicht. Unternehmen müssen vielmehr selbst anhand der festgelegten Kriterien ihre „Betroffenheit“ ermitteln. Grundsätzlich gilt: Alle, die als Betreiber kritischer Infrastrukturen eingestuft werden, fallen unter diese Richtlinie. Dazu zählen Einrichtungen, Anlagen und Systeme, deren Funktionsfähigkeit wichtig für die Gesellschaft, die Sicherheit des Landes sowie der Wirtschaft ist und deren Ausfall zu erheblichen Störungen führen würde. Nach Angaben des Bundesamtes für Katastrophenschutz handelt es sich um Unternehmen der Energie- und Wasserversorgung, der Telekommunikations- und Informationstechnik, der Lebensmittelversorgung, des Transport- und Logistikwesens, des Finanzwesens oder des Gesundheitswesens.
Gleichzeitig betrifft die NIS2-Richtlinie auch Organisationen in der Lieferkette, die Dienstleistungen oder Produkte im Zusammenhang mit kritischen Sektoren erbringen. Damit geht der Geltungsbereich weit über die bisher bekannten Schlüsselunternehmen hinaus. Künftig werden Unternehmen und Organisationen mit 50 oder mehr Mitarbeitenden sowie einem Jahresumsatz von mindestens zehn Millionen Euro in den jeweiligen Sektoren erfasst. Konkret wird bei NIS2 zwischen „wichtigen“ und „wesentlichen“ Einrichtungen unterschieden. Letztere nehmen aufgrund ihres Marktanteils in dem jeweiligen Sektor eine entscheidende Rolle ein.
Welche Vorschriften kommen mit NIS2 auf mich zu?
Die EU hat die Vorgaben in drei Kernbereichen verschärft: Aufsichtsmaßnahmen und Geldbußen, Zusammenarbeit und Kooperation sowie Risikomanagement und Widerstandsfähigkeit. Die erhöhten Anforderungen an das Risikomanagement und die Widerstandsfähigkeit haben zur Folge, dass Organisationen sowohl Maßnahmen zur Schadensvermeidung als auch zur Schadensminimierung umsetzen müssen. Darunter fallen Bereiche wie Netzwerksicherheit, Risikomanagement, Cybersicherheit in Lieferketten, Zugangskontrolle und Verschlüsselung. NIS2 sieht eine grundlegende IT-Hygiene vor, für kritische Einrichtungen schreibt der Referentenentwurf eine Angriffserkennung vor. Firmen sollten sich zudem Gedanken darüber machen, wie nach einer Cyberattacke die Geschäftskontinuität sichergestellt werden kann. Dazu gehören wiederum die Systemwiederherstellung, Notfallverfahren und das Einrichten einer Krisenorganisation.
Darüber hinaus muss innerhalb von 24 Stunden nach Kenntnisnahme des Sicherheitsvorfalls eine erste Meldung als Frühwarnung bei den zuständigen Behörden eingehen. Binnen 72 Stunden muss sogar ein ausführlicher Bericht folgen, der die sogenannten Indicators of Compromise beschreibt. Unternehmen sollten unbedingt im Top-down-Ansatz zuerst einen ganzheitlichen Ist-Zustand des Reifegrads ihrer IT-Security ermitteln und danach bedarfsgerecht technische und organisatorische Maßnahmen umsetzen. Zur Erfüllung der NIS2-Richtlinie empfiehlt sich darüber hinaus die Implementierung eines Informationssicherheitsmanagementsystems (ISMS) nach ISO 27001. Gleichzeitig ist ein Security Operation Center (SOC) sinnvoll. Der Betrieb eines SOC ist jedoch sehr kostenintensiv, weshalb die Auslagerung an einen externen Dienstleister in Form von Managed Services eine gute Lösung ist.
Was passiert, wenn ich NIS2 nicht umsetze?
Zwar werden nur die wesentlichen Einrichtungen auditiert – wer jedoch die Vorgaben missachtet, riskiert bei einem Sicherheitsvorfall spürbare Sanktionen. Bei Unternehmen, die in die Kategorie „wesentlich“ eingestuft sind, können die Bußgelder bis zu zehn Millionen Euro oder zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes betragen, je nachdem welcher Betrag höher ist. Für „wichtige“ Einrichtungen liegt das maximale Bußgeld bei sieben Millionen Euro oder 1,4 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes. Der Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums sieht darüber hinaus vor, dass Geschäftsführer und andere Leitungsorgane von Unternehmen mit ihrem Privatvermögen für die Einhaltung der Risikomanagementmaßnahmen haften. Ihnen droht ebenfalls ein Bußgeld in Höhe von zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes.
NIS2 ist also ein Compliance-Risiko, das die Verantwortlichen sehr ernst nehmen sollten. Hinzu kommt, dass eine schlechte oder gar nicht vorhandene Security-Lösung am Ende deutlich mehr kostet, auch wenn die Investition in entsprechende Maßnahmen manchen Unternehmen anfangs hoch erscheinen mag. Analog zu anderen Richtlinien ist darüber hinaus die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Firmen, die die geforderten Maßnahmen nicht umgesetzt haben, bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand nicht berücksichtigt werden.
„NIS2-Konformität ist kein Produkt, das man einfach so kaufen und implementieren kann. Im Gegenteil: Unternehmen müssen verstehen, dass die Umsetzung der neuen EU-Richtlinie ein wirklich umfangreiches und langfristiges Projekt mit Auswirkungen in den unterschiedlichsten Bereichen ist“, erklärt Kretschmer. „Die Praxis zeigt: Viele Unternehmen haben die geforderten Maßnahmen immer noch nicht in Angriff genommen. Das könnte zum Stolperstein einer fristgerechten Umsetzung von NIS2 werden. Denn die wenigsten Betriebe sind in der Lage, mit der eigenen IT-Mannschaft die geforderten Auflagen zu erfüllen.“
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