Datenschützer prangert Stillstand bei der rechtlichen Modernisierung an

Der Leiter des Unabhängigen Landeszentrums Schleswig-Holstein wirft der Politik in vielen Bereichen Versagen vor. Die Novellierungendes Bundesdatenschutzgesetzes bezeichnet er als Flop. Positive Impulse sieht er von der EU ausgehen.

Thilo Weichert, Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (Bild: ULD/Markus Hansen)
Thilo Weichert, Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (Bild: ULD/Markus Hansen)

Anlässlich der Vorstellung des 33. Tätigkeitsberichts hat Thilo Weichert, Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD), kritisiert, dass der Modernisierungsprozess des Datenschutzrechtes ins Stocken geraten ist. Während die globale Entwicklung der personenbezogenen Datenverarbeitung weiter an Fahrt zunehme, scheine das Reforminteresse insbesondere auf nationaler Ebene zu versiegen, nachdem die „fetten Überschriften über Datenschutzskandale von den Titelseiten der Medien verschwunden sind.“

Laut Weichert hätten in den Jahren 2008 und 2009 illegale Datenerhebungen und -auswertungen unter anderem durch Lidl, die Bahn AG und die Deutsche Telekom das politische Engagement für den Datenschutz befeuert. Den Ankündigungen seien aber bisher wenige und vor allem wenig qualifizierte Taten gefolgt: „Die Novellierungen 2009 des Bundesdatenschutzgesetzes erweisen sich als Flop.“

Der Datenmissbrauch beim Adresshandel, etwa durch illegale Telefonabzocke, habe eher zu- als abgenommen. Die Abzocker agierten inzwischen verstärkt aus dem Ausland. Auch die Regulierung des Scoring hält Weichert für einen Schlag ins Wasser: „Die Wirtschaft praktiziert nicht mehr Transparenz, sondern verschanzt sich hinter Allgemeinplätzen und vermeintlichen Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.“ Keine praktischen Verbesserungen habe die Regulierung der Bonitätskontrolle gebracht. Deren Anwendung werde in wichtigen Bereichen, etwa beim elektronischen Lastschriftverfahren, von der Wirtschaft komplett verweigert.

Als „völlig ungeeignet und viel zu kurz gesprungen“ bezeichnet Weichert die Regulierungsversuche der Bundesregierung hinsichtlich der Datenverarbeitung im Internet. „Mit dem Ziel, der Empörung über die flächendeckende Datenerfassung durch Google für seinen Panoramadienst Street View die Spitze zu nehmen, legte das Bundesinnenministerium einen Vorschlag für ‚rote Linien‘ vor, der keine der dringend zu klärenden Fragen beantwortet und rechtliche Selbstverständlichkeiten bekräftigt.“

Der vom Bitkom auf der CeBIT präsentierte Kodex für Panoramadienste (PDF) bleibe ebenfalls hinter den zwingenden Anforderungen der Datenschutzbehörden an Google Street View zurück. Zudem entziehe er sich der gesetzlich vorgesehenen Verbindlichkeitserklärung.

Dennoch könnte der Kodex in einem gewissen Maß stilbildend werden, wenn die Branche auf der Basis der bestehenden, aber unpräzisen gesetzlichen Vorgaben für typische Internet-Dienstleistungen bindende, mit den Datenschutzbehörden abgestimmte, spezifische Rahmenbedingungen formuliere. Solche Verhaltensregeln hält Weichert für Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Werbung im Netz und Lokalisierungsdienste mit Smartphones für „dringend notwendig“. Sie entbänden den Bundesgesetzgeber jedoch nicht davon, valide allgemeine Vorschriften für das Internet festzulegen.

Große Besorgnis besteht beim ULD hinsichtlich des Datenschutzes im Sicherheitsbereich: „Trotz der klaren begrenzenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten verfolgen die Polizei, angeführt vom Bundeskriminalamt, und das Bundesinnenministerium einen extensiven Ansatz. Dessen Realisierung würde dazu führen, dass alle Menschen bei ihren alltäglichen Aktivitäten in digitalen Netzen registriert und über Monate hinweg gespeichert würden“, so das ULD.

Die unbestreitbaren Ermittlungsnotwendigkeiten für Polizei und Staatsanwaltschaften im Netz könnten auch datensparsam und datenschutzkonform realisiert werden. Die aktuellen Vorschläge der Bundesjustizministerin für eine inhaltliche und zeitliche Reduzierung der Vorratsdatenspeicherung unterstützt das ULD.

Als Beispiel, dass die Sorgen der Datenschutzbehörden hinsichtlich extensiver Datenverarbeitung für Sicherheitszwecke nicht unbegründet sind, führt Weichert die Auswertung von internationalen Bank-Transaktionsdaten durch US-Sicherheitsbehörden über den Dienstleister Swift an, die unter Vermittlung von Europol ignoriert und verletzt wurden. Kritisch zu sehen seien auch Bestrebungen, die bisher durch die USA praktiziert Speicherung von Fluggastdaten für Flüge von und zu EU-Ländern und die Pläne, diese Praxis auf europainterne Flüge und Bahnfahrten auszuweiten.

Positive Impulse für den Datenschutz gehen laut Weichert von der Europäischen Union aus. Dazu zählt er eine für den Sommer 2011 angekündigte Initiative zur Modernisierung der Europäischen Datenschutzrichtlinie. Sie hat eine höhere Verbindlichkeit sowie eine stärkere Angleichung der nationalen Datenschutzvorschriften zum Ziel. „Angesichts der zunehmenden Zahl von europaweit und global angebotenen Internet-Dienstleistungen ist dies zumindest für diesen Anwendungsbereich dringend notwendig“, so Weichert. Er begrüßte zudem die Initiative der Bundesregierung zur Etablierung einer Stiftung Datenschutz. Dafür wurden vom Bundeshaushalt inzwischen zehn Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Themenseiten: Big Data, Business, Compliance, Datenschutz, Facebook, Google, Privacy

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