Was haben Bochum und die westirische Stadt Limerick gemeinsam? Sie könnten beide als exemplarische Fälle in die Lehrbücher für Azubis bei Wirtschaftsförderungsgesellschaften eingehen. Noch einmal kurz zur Erinnerung: Es ist nun fast auf den Tag genau ein Jahr her, dass sich Nokia entschlossen hat, den Standort Bochum zu schließen , die Produktion in „wettbewerbsfähigere Werke in Europa“ zu verlagern und die rund 2300 Mitarbeiter zu entlassen. So etwas ist traurig, kommt aber vor.
Das dicke Ende für den finnischen Mobilfunkkonzern ließ jedoch nicht lange auf sich warten, bereits am nächsten Tag erklärte Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsministerin Christa Thoben, dass sie prüfen lassen wolle, ob Nokia 17 Millionen Euro Fördergelder zurückzahlen muss. Diese Subvention waren mit der Auflage geflossen, mindestens 2856 Arbeitsplätze in Bochum sicherzustellen. Die Verpflichtung lief zwar am 15. September 2006 – also weit über ein Jahr vor Nokias Entscheidung für die Schließung des Werks – aus, aber irgendwer hatte einfach vergessen, nachzufragen, ob die Finnen sich auch daran gehalten haben. Auch so etwa ist traurig, kommt aber vor.
Nach einigem unfreundlichen Hin und Her, nach Säbelrasseln, Drohgebärden und Ablenkungsmanövern einigten sich die streitenden Parteien schließlich doch noch weitgehend gütlich. Und am Ende stand sogar fast so etwas wie ein Happy End: Blackberry-Hersteller RIM siedelte ein Forschungszentrum in Bochum an, und ein Essener Unternehmen kaufte das Bochumer Nokia-Werk, um einen Gewerbepark mit mittelfristig bis zu 1000 Arbeitsplätzen daraus zu machen. Ob da auch welche für die Ex-Nokia-Mitarbeiter dabei sein werden, weiß man noch nicht so genau. Wenn nicht, wäre das zwar traurig, kommt aber eben vor.
Zum Beispiel auch in Irland: Dort hat Dell jetzt angekündigt, seine Produktion zu schließen. Dell-Rechner für Europa sollen künftig direkt aus dem vor fast genau einem Jahr in Polen eröffneten Werk geliefert werden. Lediglich Koordination, Marketing und Vertrieb sollen in Irland bleiben: Rund 1900 Arbeitsplätze gehen jedoch verloren. Zumindest in Irland. Wie viele in Polen entstehen, weiß man nicht.
Eamonn Kennedy, Analyst beim Marktforschungsunternehmen Ovum, zeigt sich ebenso wie andere kompetente Beobachter von der Schließung nicht überrascht:
„Seit das Unternehmen 2006 Lodz in Polen als neuen Produktionsstandort angekündigt hat, wurde die Option viel diskutiert, alle europäischen Fertigungsaktivitäten dorthin zu verlagern. Dells Built-to-Order-Fertigungsmodell wurde lange als Alleinstellungsmerkmal gesehen, es erweist sich aber inzwischen gegenüber den Ab-Lager-Modellen der meisten anderen PC-Fertiger als Nachteil beim Preis pro Stück. Polen ist als Fertigungsstandort günstiger, aber es wird auch erwartet, dass Dell zusätzlich verstärkt auf Auftragsfertiger zurückgreift, die Rechner in Standardkonfigurationen zusammenbauen, um sie dann ab Lager über Flächenmärkte und Vertriebspartner abzusetzen.“
Dells 18 Jahre lang in Irland etablierte Produktion habe jedoch ein Gefühl der Beständigkeit geschaffen. Nicht einmal der Besuch einer hochrangigen Regierungsdelegation bei Michael Dell in Texas kurz vor Weihnachten habe aufhorchen lassen – so sicher sei man sich in Limerick seiner Sache gewesen. Aber: Dell ist für Irland wichtig, Irland jedoch nicht für Dell.
Die Bedeutung des PC-Herstellers für die grüne Insel kann laut Kennedy kaum überschätzt werden: Dell ist der bedeutendste Exporteur des Landes, der zweitgrößte Arbeitgeber und trägt rund fünf Prozent zum irischen Bruttosozialprodukt bei. Von den geschätzten 4300 Angestellten arbeiten 3000 am Standort in Limerick und 1300 im Vertriebs- und Support-Center in Dublin. Die Zahl der von Dell direkt abhängigen Arbeitsplätze in anderen Firmen wird auf mindestens 6000 und bis zu 10.000 geschätzt.
Ähnlich wie beim Bochumer Nokia-Werk wurden auch in Irland sofort nach der Ankündigung Anschuldigungen und Forderungen nach Subventionen für die Ansiedlung weiterer Firmen laut. Seit seinem ersten, durch die irische Wirtschaftsförderung unterstützten Investment in Irland 1990 hat der Hersteller nicht nur viel Geld im Land gelassen und eine ansehnliche Infrastruktur aufgebaut, sondern auch den Weg für andere Firmen aus der IT-Branche geebnet: Beispielsweise haben Adobe, Amazon, Apple, Ebay, Google, HP, IBM, Intel, Microsoft, Oracle und Yahoo ansehnliche Summen in Irland investiert.
Das ändert nichts daran, dass sich Unternehmen bei sich wandelnden Umständen – sei es nun ein neues EU-Mitgliedsland, attraktivere Subventionen anderswo oder einfach billigere, aber genauso qualifizierte Arbeitskräfte – nach neuen Standorten umschauen. Das ist ja auch das Prinzip der Wirtschaftsförderung: Man lockt Unternehmen an, die sich sonst wahrscheinlich nicht an diesem Standort ansiedeln würden. Wandern sie dann irgendwann wieder ab, vielleicht sogar angelockt von der Wirtschaftsförderung eines anderen Standorts, sind Empörung und Unverständnis eigentlich nicht angebracht – lassen sich aber politisch immer gut verkaufen.
Und schließlich, so Kennedy, seien sich westeuropäische Regierungen und ihre Wirtschaftsförderungsagenturen seit längerem des Trends zur Dienstleistungsgesellschaft bewusst. Noch ein Grund mehr, warum die Schließung eines Produktionsstandorts als natürliches Ereignis einer sich nach optimalen Bedingungen ausrichtenden Wirtschaft gesehen werden sollte. Allerdings müsste auch so ein Schritt gründlich vorbereitet werden. Wie schon gesagt: So etwas ist traurig, kommt aber vor.
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